Ausstellungsansicht: Käthe Wenzel “Colour Topographies”, Foto: art-in-berlin

Gibt es ein Material, das keine Farbe hat? Vereinfacht gesagt, lassen sich Material und Farbe durch das Zusammenspiel von visueller Wahrnehmung und der Wechselwirkung von Licht und Materie erklären. Aber natürlich ist alles viel komplexer, da fast alle Materie mit Licht interagiert, und dennoch haben Spiegel, Gläser, bestimmte Gase und andere transparente Stoffe in der menschlichen Wahrnehmung keine Farbe.
Und was ist mit öffentlichen Orten? Lassen sich Farben bestimmten Orten zuordnen? Käthe Wenzel erkundet in ihrer Ausstellung “Colour Topographies” bei Art Laboratory Berlin dieses Thema. Durch das Prisma des Farbspektrums hinterfragt die Künstlerin die alltägliche Wahrnehmung urbaner Räume und eröffnet eine neue Dimension der Stadt(und Farb)betrachtung.

Die Ausstellung zeigt die verschiedenen Stadien ihrer Farbgewinnung aus organischen und mineralischen Stoffen. Dafür sammelte die Künstlerin Pflanzen, Asche, Müll oder nahm Bodenproben an Orten wie bspw. dem Tempelhofer Feld, Unter den Linden, der Kastanienallee oder in ihrem Atelier. Durch Prozesse wie Fermentation, Oxidation und pH-Wert-Verschiebung extrahierte und stabilisierte sie diese flüchtigen Farbsignaturen und macht sie dadurch der Wahrnehmung zugänglich.

Das zentrale Werk der Ausstellung zeigt eine Serie von 12 schmalen, etwa 2 m hohen Papierstreifen, so genannten Farbcharts, auf denen die farbliche Transformation der Örtlichkeiten zu sehen ist. Jeder Streifen steht für einen bestimmten Ort und spiegelt zum Beispiel die Phasen der Pflanzenzyklen im Laufe eines Jahres wider. Je nachdem, was an welchem Ort vorgefunden wurde, wechseln sich Zonen mit mal kräftigeren, mal zarteren Farbnuancen ab. Manchmal bilden die Farbkontraste eine Linie, die an einen Horizont erinnert. Zusätzlich veranschaulicht die Künstlerin das prozesshafte Zusammenspiel der Farben in einem Video.

Responsive image Ausstellungsansicht: Käthe Wenzel “Colour Topographies”, Foto: art-in-berlin

An der Bodenbeschaffenheit und den Umwelteinflüssen orientieren sich die unterschiedlichste Farbtöne der Pflanzenextrakte. Und in Kombination mit chemischen Prozessen offenbaren mineralische Stoffe ihr farbliches Spektrum. In ihrer künstlerischen Praxis verbindet Käthe Wenzel dabei das Experimentieren und traditionelle Techniken der Farbgewinnung mit zeitgenössischen Diskursen. Die ortsspezifischen Farbcharts sind ästhetische Artefakte und wissenschaftliche Dokumente zugleich. Sie zeichnen ein Bild der Wechselwirkungen zwischen urbaner Infrastruktur, Bodenbeschaffenheit und Pflanzenwelt. "Plant Blindness" - eine oft unbewusste Vernachlässigung der pflanzlichen Umwelt in der Stadt - könnte so verstärkt ins Bewusstsein rücken.
Die Betrachtung und Verwendung der gewonnenen Farbe als Tinte eröffnet weitere vielfältige kulturhistorische Bezüge. Zum Beispiel die Haltbarkeit bzw. Vergänglichkeit von Tinte und unsere Fixierung auf historische Überlieferung. Die an der gegenüberliegenden Wand der Farbcharts aufgeängten kleinen Papierstreifen, die wie Lackmustests wirken und zugleich skizzenhaft auf das Hauptwerk verweisen, öffnen - wie auch der Aufbau einer Versuchsanordnung - die Phantasie für weitere kritische Reflexionen über unser Verhältnis zur urbanen Umwelt.

Responsive image Ausstellungsansicht: Käthe Wenzel “Colour Topographies”, Foto: art-in-berlin

An einem Tisch kann man schließlich selbst mit unterschiedlichen Papieren und breitgestellten Tinkturen experimentieren und so den künstlerischen Ansatz ganz praktisch erfahren. Wem sich jedoch auf der theoretischen Ebene neue Fragen stellen, der kann - wie bei fast allen Ausstellungen bei Art Laboratory Berlin - in einem umfangreichen und sorgfältig aufgearbeiteten Handbuch mit zahlreichen Quellenangaben und zusätzlichen Informationen weiter recherchieren.

Art Laboratory Berlin
Prinzenallee 34, 13359 Berlin
artlaboratory-berlin.org
Lauzeit: 31. August – 6. Oktober 2024
Öffnungszeiten: Do – So, 14 – 18 Uhr

ALB-Team
Regine Rapp, Christian de Lutz, Tuçe Erel,
Alice Cannavà, Camila Flores-Fernández