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Berlin Daily 26.04.2024
Lesung mit Jan Kollwitz

19 Uhr: An­läss­lich des To­des­ta­ges von Käthe Kollwitz liest ihr Urenkel aus den Brie­fen und Ta­ge­bü­chern seiner Ur­groß­mut­ter. Käthe-Kollwitz-Museum | Spandauer Damm 10 | 14059 Berlin

Alle Spezies sind gleich

von Urszula Usakowska-Wolff (03.09.2020)
vorher Abb. Alle Spezies sind gleich

Ankarfeldt, Baum & Leahy The Red Nature of Mammalga, 2018, ceremonial gathering, photo: Green SLSA eu

Wenn wir die Ausstellung The Camille Diaries. New Artistic Positions on M/otherhood, Life and Care in der Prinzenallee 34 im Soldiner Kiez betreten, befinden wir uns in einer geheimnisvollen Welt, die wie eine Mischung aus Labor, Kino und Wunderkammer anmutet. Auf der linken Seite stehen in einer Reihe Prismen, die wie ein fast monochromes, abstraktes Relief aussehen. Von der Decke hängen auf milchigen Schläuchen Glaskolben, gefüllt mit einer marsalaroten Flüssigkeit. An der Wand dahinter sind drei Fotografien angebracht. Sie zeigen einen Tigerschnegel, der offensichtlich auf der Haut eines Menschen kriecht und dabei , wie es sich für eine Nacktschnecke gehört, eine schleimige Spur hinterlässt. An der rechten Wand läuft ein Video mit einer jungen Frau, die sich mit einem kleinen Delfin amüsiert. Im zweiten, etwas kleineren Raum fesselt eine rotierende Glasschale, die einen runden, goldenen Sockel krönt, die Aufmerksamkeit. Sie wirkt wie eine kostbare Bodenleuchte, nur dass sich in ihrem Innern keine Glühlampe, sondern ein Kompass befindet. Die angrenzende Nische ist ins violette Licht getaucht. Sie beherbergt einen Infusionsbeutel, der in einer rahmenden Metallbox hängt. Grüne Flüssigkeit tropft daraus in einen Glaskolben und färbt sich rot.

Transgen im Chthuluzän

Der erste Teil der Gruppenschau The Camille Diaries bei Art Laboratory Berlin, das schon seit 14 Jahren, auch international, eine Vorreiterrolle in der Förderung und Popularisierung der als BioArt, Transgenic Art oder Hybrid Art bezeichneten Kunst spielt, ist ein guter Einstieg, um sich mit diesem grenzüberschreitenden Genre vertrauter zu machen. Regine Rapp und Christian de Lutz, die Art Laboratory Berlin leiten und die aktuelle Ausstellung kuratieren, haben dazu elf Künstlerinnen eingeladen, deren Installationen, Objekte, Videos und Performances die künftigen Beziehungen zwischen den Arten zum Thema haben. Anknüpfend an die 2016 erschienene Essaysammlung Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene (deutsche Ausgabe unter dem Titel Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, 2018) der US-amerikanischen Biologin, Philosophin und Feministin Donna J. Haraway, plädieren sie für eine Welt, in der alle Lebewesen symbiotisch verbunden sind, unabhängig davon, ob sie Menschen, Tiere, Pflanzen oder andere Organismen sind.


Nicole Clouston Mud (Lake Ontario), 2018, installation, local mud

Mikroben, Hormone & Branko

Für ihr Objekt Mud (Berlin), 2020, das am Anfang der Ausstellung steht, entnahm Nicole Clouston Schlamm aus Berliner und Brandenburger Flüssen und Seen und füllte damit (nicht randvoll) 15 Prismen, die sich auf die Ende des 19. Jahrhunderts vom russischen Mikrobiologen und Pflanzenphysiologen Sergej Winogradsky erfundenen Winogradsky-Säulen beziehen. In dem von der Künstlerin mit Nährstoffen angereicherten Schlamm gedeihen unter Lichteinwirkung die dort bereits vorhandenen Mikroben, was sich durch eine lebendige Marmorierung bemerkbar macht. In ihren Arbeiten aus der Serie Wombs (Gebärmütter), 2018/2019, „meditiert“ die Wahlberlinerin Margherita Pevere „über Sexualität und hormonelle Verhütung aus einer ökologischen Perspektive“, lesen wir im Wandtext. Hormone, die die Künstlerin für das Werk W.01 aus ihrem Urin extrahierte, fügte sie den Bakterienkolonien zu, welche sich in drei wissenschaftliche Glaswaren entwickeln und einen fleischähnlichen Biofilm produzieren, der aus der Ferne wie Marsalawein aussieht. Die Geschichte ihrer körperlichen Begegnung mit der Nacktschnecke Branko erzählen drei Fotoarbeiten unter dem Titel W.03.


Ai Hasegawa I Wanna Deliver a Dolphin ..., 2011–13, video

I Wanna Deliver a Dolphin...

Einen anderen Protagonisten hat das Projekt I Wanna Deliver a Dolphin... (2011/2013, Video und Diagramm) von Ai Hasegawa. Es ist ein sympathischer Maui-Delfin, Vertreter der kleinsten und am akutesten vom Aussterben bedrohten Spezies aus der Familie der Delfine. Die japanische Künstlerin und Designerin fabuliert darüber, ob diese Spielgenossen von der Größe menschlicher Babys eventuell in Zukunft von Frauen ausgebrütet und geboren werden könnten. Damit antizipiert sie Donna Haraways SF-Kurzgeschichte unter dem Titel Camille Sories. Children of Compost, die das Schlusskapitel ihres besagten Buches bildet: Im frühen 21. Jahrhundert werden vor der Geburt Camille Gene des Monarchfalters eingesetzt. In den fünf Generationen von 2025 bis 2425 entwickeln sich immer mehr hybride Wesen aus der „Kompostistengemeinschaft“, die auch Gene anderer Tiere tragen und auf diese Weise die „Verwandtschaft der Arten“ pflegen, wodurch nicht mehr so viele Menschen auf die Welt kommen und die Überbevölkerung unserer Terra überwunden wird.


Mary Maggic Milik Bersama Rekombinan, 2019, installation

Milik Bersama Rekombinan

Während der erste Teil der Ausstellung über den „genetischen und biochemischen Austausch zwischen Mensch und nichtmenschlichen Organismen“ von einer fast schon mystischen Aura umgeben scheint, ist ihr zweiter Teil im OKK (Organ Kritischer Kunst) in der Prinzenallee 29 großformatiger und in einigen Fällen in der Gegenwart verankert. Allein schon durch ihren Umfang und die Fülle der Artefakte zieht die Installation Milik Bersama Rekombinan (Zusammen-Gehören-Rekombination, 2019) alle Blicke auf sich. Es ist ein Werk der Künstlerin Mary Maggic aus den USA, die in letzter Zeit in Wien wirkt, und es während eines Aufenthalts in Yogyakarta auf der Insel Java in Indonesien geschaffen hat. Das Thema ist der Fluss Code in der Mitte der Stadt und seine Ufer, die über die Grenzen des Erträglichen mit Plastik vermüllt sind. Die in dieser toxischen Umgebung lebenden Menschen scheinen sich mangels Alternativen damit abgefunden zu haben. Sie benutzen das Wasser, als ob es sauber wäre. „Können sich die marginalisierten Menschen von River Code um die Gesundheit des Flusses kümmern, als ob es ihr eigener Körper wäre? Können Mutation und Formänderung als legitime Überlebensstrategien anerkannt werden?“, fragt Mary Maggic. Durch Milik Bersama Rekombinan schlängelt sich eine mit blauen Agar gefüllte und den River Code verkörpernde Bambusskulptur, flankiert von zwei hautähnlichen Latexbahnen. Am Ende der Installation wird ein rotierendes Mandala projiziert, wofür die Künstlerin den im Fluss gefundenen Müll benutzte: ein Symbol „der ständigen Rekombination von Plastikpartikeln in unserem eigenen Körper.“

Sonia Levy For the Love of Corals, 2018, video installation

Rotalgen & Korallen

Mammalga (2018) ist wiederum ein gemeinsames Werk von Naja Ankarfeldt und des Künstlerinnenduos Baum & Leahy. Ihr Interesse gilt der Bangiomorpha pubescens, einer Rotalge, dem ersten bekannten, sich selbst reproduzierenden Organismus. Mit dieser „Mutter aller irdischen Säugetiere“ können wir unsere Verwandtschaft pflegen, indem wir ein sie enthaltendes Getränk zu uns nehmen und dabei das titelgebende und die linke Wand schmückende vierstrophige Mantra rezitieren. Sein Refrain lautet: the red nature of mammalga. Von den Korallen trennt die Algen nur ein Vorhang. Hinter ihm befindet sich ein geräumiger Kinosaal, in dem die Videoinstallation For the Love of Corals (2018) von Sonia Levy betrachtet werden kann. Aufgenommen im Londoner Horniman-Museum, wo ein Team von Meeresbiologinnen und Biologen 2017 begonnen hat, weltweit zum ersten Mal Korallen in einem Labor zu züchten, zeigt sie ihre tägliche Arbeit, die der Erhaltung und Pflege der vom Klimawandel und Tourismus zum Aussterben verurteilten Nesseltiere dient.

Hinter einem Vorhang verborgen liegt Špela Petrič’ Phytoteratology (2016). Die „multimediale biologische Installation“ der promovierten, in Ljubljana und Amsterdam lebenden Biochemikerin und einer der internationalen Größen der Hybrid Art hat den kleinen Raum in ein Labor verwandelt, wo sie Embryonen der Schottenkresse in künstlichen Gebärmüttern erschafft, die durch Hormone aus dem Urin der Künstlerin angereichert, sich zu Pflanzen entwickeln. Also: Doch ruhig bleiben! Die Zukunft kann ja nicht nur Chimären gehören.

THE CAMILLE DIARIES. New Artistic Positions on M/otherhood, Life and Care
mit Sonia Levy | Mary Maggic | Naja Ryde Ankarfeldt | Baum & Leahy | Špela Petrič| Margherita Pevere | Ai Hasegawa | Nicole Clouston | Cecilia Jonsson | Tarah Rhoda

kuratiert von Regine Rapp & Christian de Lutz

bis zum 4. Oktober 2020

Art Laboratory Berlin, Prinzenalle 34 | OKK, Prinzenallee 29, 13359 Berlin
Do – So, 14 – 18 Uhr

Symposium THE CAMILLE DIARIES am Samstag, 26. Septemer 2020, Live-Stream (mehr Information bald). Es sprechen die ausstellenden Künstlerinnen mit Geistes- und Naturwissenschaftler_innen
www.artlaboratory-berlin.org

Urszula Usakowska-Wolff

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