Anzeige
Boris Lurie

logo art-in-berlin.de
Berlin Daily 30.04.2024
Caspar David Friedrichs Meisterwerke entdecken

16 Uhr: Öffentliche Führung. Alte Nationalgalerie | Bodestraße | 10178 Berlin

Mein Muster: Im gleichen Takt hoch hinauf

von Maximilian Wahlich (02.04.2024)


Mein Muster: Im gleichen Takt hoch hinauf

Kerstin Honeit
THIS IS POOR! (2024)
Videostill / Video still
© Kerstin Honeit / VG Bild-Kunst, Bonn 2024


Zurzeit ist im Neuköllner Kindl die Videoarbeit „THIS IS POOR! Patterns of Poverty“ der Berliner Künstlerin und Filmemacherin Kerstin Honeit (* 1977 in Berlin) zu sehen. In dem 20-minütigen Film schauen wir einem Making-Off zu: Was dabei genau entstehen soll – unklar. Ist es ein Theaterstück oder eine Alltagssituation, die hier erprobt werden muss? Fünf Personen kommen für einen Protest zusammen und sagen programmatisch: Wir wollen den Aufstand. Ein Aufzug fährt abwärts – jedenfalls für die meisten. In kryptischen, artifiziellen Aussagen verkapselt Kerstin Honeit Themen zu Klasse, Architektur und gesellschaftlichen Hierarchien.

Es gibt ein Unten und damit auch ein Oben. Das Vertikale ist eine Frage der Perspektive. Beugen wir uns weit nach links, wird aus dem Hochhaus ein horizontaler Block. Dann wird der wuchtige Steglitzer Kreisel, einer der drei Schauplätze des Videos, ein Klotz in der Landschaft. Der Kreisel ist stadtbekannt und steht exemplarisch für den Ausverkauf Berlins. Einst war er Standort des Bezirksamtes und damit auch Vergabestelle für Sozialhilfe. Dann kaufte es die Adler Group - ein Immobilienunternehmen, das mit fragwürdigen Versprechen und Geschäftspraktiken operiert. Sie bewarben das Projekt mit dem Namen „Überlin“: Aus dem hässlichen Zweckbau, einem Verwaltungsmonstrum, sollte ein schicker Neubau werden. Hochpreisige Wohnungen mit Blick über die Stadt, der selbst den König der Löwen neidisch gemacht hätte.

Bis zum Horizont wird einmal alles dir gehören. Der Ausblick ist nicht schlecht. Doch wir schauen nicht in die Ferne, sondern zoomen tief hinein: Wir begleiten Honeit in ihre Gedankenwelt. Ihr assoziativer Bogen lässt sich schwer nachskizzieren. Die Videoarbeit zeigt drein miteinander verschränkte Sequenzen: Bereits beschrieben der Aufstand vor dem Kreisel. Zweite Szene in einem kleinen Raum bei der Probe des Making-Offs, Alltagskleidung, Lachen, Fehler werden gemacht. Eine entspannt sympathische Produktion.

Szene drei ist auf der Bühne. Drei weiß gekleidete Personen (darunter Honeit und ihre Mutter) betreten die Szenerie. Auf ihrer Rückwand – und damit auch auf die Darsteller*innen – werden Muster, Strukturen projiziert. Honeit vermeidet Zuschreibungen, sie sagt nicht: Das Muster steht für Prekariat, jenes für Reichtum, dieses für Bildung... Sie verbildlicht vielmehr eine Metaebene: Regelmäßigkeiten, die das Fehlerhafte und Auffällige sofort sichtbar machen. In diesem Raster wird strukturelle Armut als das Unregelmäßige herausgestellt, perfide zum Mitesser im geschliffen beigen Sandstein erklärt.

Der Kreisel erscheint in den Randerings der Adler Group als ein Neubau mit einer Fassade aus stupider Wiederholung. Fensterschlitz, Mauerstreifen, Fensterschlitz, Mauerstreifen, Fensterschlitz, ... Doch heute sehen wir hier nur ein gigantisches Gerüst, das den gesamten Bau ummantelt. Die dünnen Netze flattern um die Metallstreben wie ein modriges Spinnennetz um das Versprechen exquisiter Wohnungen. Doch der Bau wurde nie veredelt und gleicht einem längst verlassenen Wrack.

Der Kapitalismus hinterlässt Trümmer, er verroht Landschaft und dörrt aus. Er nimmt, was ihm nicht gehört; hält am Leben, obwohl er tötet. Der Kapitalismus braucht eine Heerschar von Konsument*innen, lässt aber keinen Aufstand zu. Er ist ein Ungetüm, das sich in alle Strukturen eingräbt, sie infiltriert und im Zweifel schlicht aufkauft. Er macht Reiche reicher und Arme ärmer. Er schafft eine Logik, die soziale Verhältnisse als gegeben erscheinen lässt. Kann man nix machen, bist halt arm :(

Karl Marx hätte sicher eine Meinung zu diesem Thema, und so bekommt er einen kurzen Auftritt. Sein Name wird erwähnt, seine Lebensdaten genannt und die soziale Situation seiner Familie wird umrissen. Dazu werden einzelne Sequenzen aus English for you - einer Serie aus dem ostdeutschen Bildungsfernsehen zum Englischlernen - herangezogen. Honeit und die beiden anderen Personen auf der Bühne sprechen einzelne Sätze nach. Regieanweisungen sind zu hören. Das Video geht in die zweite Runde. Wiederholung.

Die Videoarbeit bleibt auf einer abstrakten Ebene. Konkret ausgesprochen wird wenig. Dialoge und Szenen sind steif und aus der Welt gefallen. Sie sind verfremdet. Ein Theaterstück. Was wird gezeigt? Humorvolle Kapitalismuskritik oder die Ohnmacht gegenüber einer brutal omnipräsenten Gesellschaftsordnung? Können wir im solidarischen Miteinander Muster durchbrechen und wie funktioniert ein Aufstand? Wie viel Kritik kann im Perspektivwechsel stecken? Nicht zuletzt müssen sich solche Arbeiten auch der Frage stellen, welchen Einfluss sie in einem exklusiven Kunstraum überhaupt haben können – und wie viel sie eigentlich ändern wollen?

Ausstellungsdauer: 24.3.24 – 14.7.24

Kerstin Honeit
THIS IS POOR! Patterns of Poverty
KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst
Am Sudhaus 3
12053 Berlin
Mi, 12:00 – 20:00
Do – So, 12:00 – 18:00
www.kindl-berlin.de

Maximilian Wahlich

weitere Artikel von Maximilian Wahlich

Newsletter bestellen




top

Titel zum Thema Kindl:

Mein Muster: Im gleichen Takt hoch hinauf
Ausstellungsbesprechung: zu der Videoinstallation "THIS IS POOR! Patterns of Poverty!" von Kerstin Honeit im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst.

Geschriebene Bilder - écrites الصور Etel Adnan und Simone Fattal im KINDL
Die Ausstellung Voices without borders im KINDL setzt Werke der Künstlerinnen Etel Adnan und Simone Fattal in einen engen Dialog. Nur noch bis nächsten Montag 1.1.24 zu sehen

Stunde Null als Neuanfang = Ende Neu im Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst
Nur noch bis Sonntag ...

Wort, Schrift, Bild: Natalie Czech und Friederike Feldmann im KINDL
Heute endet die Doppelausstellung Natalie Czech / Friederike Feldmann im Maschinenhaus M2 des KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst.

Zwischen den Jahren: Von Januar bis Dezember 2019
Ein Blick zurück auf sehenswerte Ausstellungen, gute Besprechungen und schöne Erinnerungen. Heute: Bjørn Melhus im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst (von Urszula Usakowska-Wolff)

Kathrin Becker übernimmt künstlerische Leitung des KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst
Kurzinfo: Die bisherige Geschäftsführerin des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.) und Leiterin des Videoforums, Kathrin Becker, wird ab 1.2.2020 Künstlerische Direktorin des KINDL ...

Wechsel der künstlerischen Leitung des KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst
Personalien: Andreas Fiedler gibt zum Frühjahr 2020 auf eigenen Wunsch die künstlerische Leitung des KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst in Berlin ab.

Eröffnung des KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst verzögert sich
Im Jahre 2011 hatte das deutsch-schweizerische Ehepaar Burkhard Varnholt und Salome Grisard das ehemalige Kindl-Brauereigebäude in Berlin-Neukölln gekauft, um ein Zentrum für zeitgenössische Kunst aufzubauen.

KINDL - ein neues Zentrum für zeitgenössische Kunst entsteht in Berlin-Neukölln
KINDL - ein Berliner Synonym für Bier - soll in Zukunft für weit mehr als ein Getränk stehen. Seit 2012 erfährt das ehemalige Kindl-Brauereigebäude in Berlin-Neukölln grundlegende Umbaumaßnahmen.

top

zur Startseite

Anzeige
Responsive image

Anzeige
Alles zur KI Bildgenese

Anzeige
SPREEPARK ARTSPACE

Anzeige
artspring berlin 2024

Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Schloss Biesdorf




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
ifa-Galerie Berlin




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Galerie Beyond.Reality.




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Urban Spree Galerie




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Meinblau Projektraum




© 1999 - 2023, art-in-berlin.de Kunstagentur Thomessen Hartlieb-Kühn GbR.