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Berlin Daily 09.12.2024
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Wie viel Gewalt steckt in Museumssammlungen? - Dekoloniale – was bleibt?!

von Maximilian Wahlich (21.11.2024)


Wie viel Gewalt steckt in Museumssammlungen? - Dekoloniale – was bleibt?!

Pressepreview des dezentralen Ausstellungsprojekts "Dekoloniale – was bleibt?!" 13.11.2024 (c) Stadtmuseum Berlin, Foto Oana Popa-Costea

In der Nikolaikirche des Stadtmuseums Berlin ist, wie auch zusätzlich an anderen Orten in Berlin-Mitte, derzeit die Ausstellung Dekoloniale – was bleibt?! zu sehen. Das Ausstellungsprojekt beleuchtet Berlins Verstrickung in die Kolonialgeschichte sowie die Interventionen widerständiger Persönlichkeiten, die bisher keine angemessene Anerkennung erfahren haben.

Die Präsentation in der Nikolaikirche ist zweigeteilt. Im historisch-diskursiven Teil werden anhand von acht Biografien Fragen an die eigene museale Sammlung und vor allem die Zukunft des Museums gestellt: „Wie umgehen mit rassistischen Objekten? Wer sammelt Zeugnisse des Widerstands?” oder „Wie viel Gewalt steckt in Museumssammlungen? Wie viele Sprachen spricht ein ‘Objekt’?”. Unterstützt wird die kritische Selbstbeleuchtung von der Gestaltungsagentur Visual Intelligence. So stehen mitten im sakralen Raum sperrige Einbauten. Auf ihnen sind Texte in harten Schwarz-Weiß-Kontrasten sowie Unter- und Durchstreichungen zu lesen. Diese Kisten grenzen sich klar ab vom Kirchenraum. Ihnen stehen nun Kunstwerke aus einem Artist-in-Residence-Programm gegenüber. Teilgenommen haben daran fünf Künstler*innen.

Besonders eindrucksvoll und sichtbar ist die Arbeit Bruch mit der Realität von Percy Nii Nortey. Er hat die gotischen Fenster der Kirche mit textilen Arbeiten bespannt. Sein Arbeitsmaterial, die Stoffe, stammen aus dem Alltag von ghanaischen Proletarier*innen, die aktiv eingebunden waren. Die benutzen Stoffe, mit Flecken, Falten und anderen Gebrauchsspuren wurden zu imposanten Bildern neu zusammengenäht. Sie zeigen Schwarze Menschen in ihrem Alltag. Nortey bricht mit einer Motivtradition, die vor allem (weiße) Helden in Aktion porträtiert. Die Arbeit ermächtigt damit Schwarze Menschen ebenso wie Menschen, die sich nicht in den Narrativen des Heldentums wiederfinden können/wollen. Sie wendet sich gegen missionarische Erzählungen weißer Vorherrschaft.

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Pressepreview des dezentralen Ausstellungsprojekts "Dekoloniale – was bleibt?!" 13.11.2024 (c) Stadtmuseum Berlin, Foto Oana Popa-Costea

Tonderai Koschke befasst sich in einer Rauminstallation mit dem Kulturerbe des Great Zimbabwe beziehungsweise mit dem eurozentristischen Vorurteil, in „Afrika” gäbe es keine Hochkultur. Irrtum, denn in Zentralafrika, einer heute völlig ausgedörrten Region, entstand vor vielen Jahrhunderten eine hochkomplexe Kultur. Manifestiert in Bauwerken, die sich teils wie Schnecken winden. Das Vault von Terra Multis imitiert diese räumliche Erfahrung. Im Inneren der Schnecke befinden sich Videoarbeiten und Interviews mit Akteur*innen vor Ort. An der Außenwand zeigt ein Video ein Steinbecken, das allmählich mit Wasser gefüllt wird, Menschen in Bikinis und mit Sonnenschirmen sind ins Bild montiert. Wäre das, das „Afrika” heute, ohne europäische Geschichtshegemonie?

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Pressepreview des dezentralen Ausstellungsprojekts "Dekoloniale – was bleibt?!" 13.11.2024 (c) Stadtmuseum Berlin, Foto Oana Popa-Costea

Ebenso raumgreifend ist die Arbeit Verflochtene Geschichten des Blau von Theresa Weber, in der blaue, verknotete, an Dreadlocks erinnernde Lianen von der Decke herabhängen. Auf verschiedenen Ebenen wird auf koloniale Muster eingegangen. So knüpft die wurzelartige Erscheinung an das Konzept des Rhizoms an: ein Organismus ohne festen Kern – und damit Sinnbild für Widerstand, eine Art Guerilla-Ästhetik, in der kein Zentrum mehr zerstört werden oder von dem aus eine zentralistische Macht ausgehen könnte. Das Blau erinnert dagegen an den Ton Indigo, der ebenfalls in kolonialen Narrativen präsent ist. Die Haptik des Stoffes soll den steinernen Monumenten westlicher Länder entgegenstehen.

Im hinteren Bereich der Kirche sind zwei Arbeiten von Yongkun Shi und Charlotte Ming zu sehen. Currents ist ein dreiteiliger Siebdruck, der wie eine Cyanotypie ausschaut. Hier schwimmt ein Kriegsschiff aus dem Ersten Weltkrieg inmitten der Weite des Meeres. In räumlicher Nachbarschaft befindet sich ein dazugehöriges Video. Die Arbeit handelt von Qingdoo, einem Ort, der kolonisiert und im Laufe der Jahre zu einem Ressort reicher Europäer*innen ausgebaut wurde und schließlich auch im Krieg eine strategische Rolle spielte. Das Video zeigt Archivmaterial, Bilder einer Strandidylle in seltsam historistischer Ästhetik. Dem Ort wird eine europäische Bildsprache übergestülpt. Auch für die zweite Arbeit Grüße aus der Kiautschoustraße operiert das Duo mit Postkarten. In diesem Fall stecken die Karten in einer Art Sandkasten. Die Motive zeigen Berliner Ecken wie den Peking Platz oder die Kiautschoustraße. Thema ist der deutsche Kolonialismus in China.

Der historische Teil der Ausstellung scheint ohne Exponate zu arbeiten, sie werden via Platzhaltertext ersetzt. So wirken die künstlerischen Arbeiten wie ein konkurrierendes Gegengewicht zu den harten Kanten und klaren Kontrasten der Textpräsentation, die selbstbewusst und blockhaft im Kirchenraum installiert ist.

Dekoloniale – was bleibt?!
Dezentrale Ausstellung an verschiedenen Orten in Berlin-Mitte
14.11.2024 – 25.05.2025

Öffnungszeiten
täglich | 10 – 18 Uhr
www.stadtmuseum.de

Ausstellungsorte:
Museum Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, 10178 Berlin, täglich geöffnet von 10-18 Uhr, Eintritt Euro 7/ermäßigt Euro 0
Projektraum Dekoloniale, Wilhelmstraße 92, 10117 Berlin, kostenfreie Schaufensterausstellung
Community Zentrum (CUZ), EOTO e.V., Togostraße 76, geöffnet Di + Do, 14-18 Uhr, kostenfreie Fotoausstellung
AfricAvenir International e.V., Kameruner Str. 1, 13351 Berlin, Schaufensterplakat
U-Bahn-Haltestelle Afrikanische Straße, immer zugänglich und kostenfrei

Maximilian Wahlich

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