18.30 Uhr: im Rahmen der "Ruckhaberle-Förderpreis 2024: Shortlist-Ausstellung" Dr. Sabine Ziegenrücker und Claudia Wasow-Kania. GalerieETAGE im Museum Reinickendorf, Alt-Hermsdorf 35, 13467 Berlin
Die Programmatik der auf der 10. Berlin Biennale gezeigten Werke lässt sich wie folgt zusammenfassen: Es gibt keine. Zumindest keine übergeordnet ganzheitliche, welche die Werke auf inhaltlicher Ebene verbinden würde. Und das stellt gleichzeitig die größte Stärke der Ausstellung dar – sie ist nicht „über-kuratiert“. Stattdessen wird den Künstler*innen und ihren Arbeiten Platz gegeben (auch im wörtlichen Sinne, 46 Künstler*innen stellen für eine internationale Großausstellung eine erfrischend überschaubare Zahl dar). Ein Statement machen die Kuratorin Gabi Ngcobo und ihr Team aber dennoch: Drei Viertel der Partizipierenden sind Künstlerinnen, die allermeisten schwarzer Hautfarbe. Das ist eine Ansage, denn zufällig passiert so eine Auswahl in unserer eurozentrisch, patriarchal geprägten Kunstszene keinesfalls.
Die 10. Berlin Biennale wartet mit starken politischen und gesellschaftskritischen Arbeiten auf. Allen voran sind hier Luke Willis Thompsons vergoldete Trinkbrunnen zu nennen, die aus Teilen jener Becken bestehen, die Schwarze zur Zeit der Rassentrennung in den USA benutzen mussten, um nicht aus dem gleichen Brunnen wie Weiße zu trinken. Diese luxuriös wirkenden Readymades mit subversiver, anti-rassistischer Botschaft begleiten einen durch die gesamte Berlin Biennale und sind in allen drei Hauptstandorten zu finden. In den KW zeigt Thompson mit seiner Filmarbeit „autoportrait“ außerdem eine Hommage an Diamond Reynolds – jener Frau, die vor zwei Jahren die Erschießung ihres Freundes während einer Polizeikontrolle in Minnesota filmte und online stellte. Ebenfalls in den KW nimmt Okwui Okpokwasili die Protestform nigerianischer Frauen mit dem Namen „sitting on a man’s head“ als Ausgangspunkt für ihre gleichnamige Performance, während Grada Kilomba im Erdgeschoß auf wunderbar minimalistische Weise den Mythos des Ödipus im Kontext von Macht und Unterdrückung neu erzählt. Im ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik ragt Heba Y. Amin mit ihrer Reflektion über Besitzansprüche auf das Mittelmeer heraus. In einer staatsmännisch inszenierten Rede propagiert sie den Plan, das Mittelmeer trockenzulegen und dadurch Europa und Afrika zu verbinden. Als ägyptische Frau tritt Amin in ihrer Video-Installation mächtigen Männern wie Gamal Abdel Nasser, Recep Tayyip Erdogan, Benito Mussolini oder Dwight D. Eisenhower selbstbewusst gegenüber. Um die Folgen des Kolonialismus drehen sich die beiden äußerst gelungenen Arbeiten von Thierry Oussou und Sondra Perry in der Akademie der Künste. Beide verhandeln musealen Umgang mit außereuropäischem Kulturgut und eröffnen Fragen der Restitutionspolitik. Oussou führte in Benin eine pseudo-archäologische Ausgrabung eines Throns durch, der sich heute als Raubgut in Frankreich befindet, während Perry in ihrer Videoarbeit kulturelle Artefakte im British Museum und im MET in Szene setzt.
Künstlerisch weniger überzeugend wirken hingegen so belehrend-moralisierende Werke wie die Videoarbeit „Millis Erwachen/Milli’s Awakening“ von Natasha A. Kelly. Als eine der zahlreichen von der Berlin Biennale in Auftrag gegebenen Arbeiten interviewt Kelly acht schwarze Künstlerinnen, die von ihrem Leben und ihrer Arbeit in Deutschland erzählen. Zweifelsfrei eine der zugänglichsten Arbeiten, die beinahe brav, jedenfalls recht treffsicher die allgemeine Erwartungshaltung an diese Ausgabe der Berlin Biennale erfüllt. Ähnlich verhält es sich mit dem in der Akademie gezeigten Video „Again / Noch einmal“ von Mario Pfeifer, in dem der Künstler den Fall eines von Rechtsextremisten misshandelten Flüchtlings neu aufrollt und dabei ein wenig zu einseitig mit der Moralkeule winkt. Tiefergehende Fragen nach den Gründen für das Verhalten dieser Bürger*innen und vor allem für den erfolgten Freispruch durch die Justiz kommen hier deutlich zu kurz, eher reißerisch und effektheischend wird der Vorfall wiedergekäut. Arbeiten wie diese verwundern angesichts der programmatischen Verweigerungshaltung, die sich durch die Verneinungen im Titel, im Logo bis hin zum Veranstaltungsprogramm zieht: „Wir sind nicht hier, um den Leuten etwas über Postkolonialität oder Dekolonialität beizubringen. Wir weigern uns, diese Dienstleistung anzubieten – zu unterrichten, zu entschlüsseln, zu korrigieren“, heißt es von Ngcobo im Katalog.
Wer dennoch annimmt, dass in dieser Ausgabe der Berlin Biennale ausschließlich Themen rund um Race, Black Empowerment und Post-Kolonialismus zur Sprache kommen würden, der irrt (und outet sich gleichzeitig ein Stück weit: Warum sollten schwarze Künstler*innen nur explizit Probleme der schwarzen Community verhandeln?). Neben Arbeiten zu diesen Themen bietet die Berlin Biennale auch zahlreiche Werke, die fernab dieser Kontexte funktionieren und sich künstlerisch ohne Probleme behaupten können. Eine wahre Entdeckung stellen etwa die mystisch aufgeladenen, handwerklich perfekten Kollografien der kubanischen Künstlerin Belkis Ayón dar, in denen sich die früh verstorbene Künstlerin mit dem afrokubanischen Geheimbund Abakuá auseinandersetzt. Gleiches gilt auch für die sinnlichen Malereien von Lynette Yiadom-Boakye oder das Triptychon „Hapana Chitsva“ von Portia Zvavahera. Der pakistanische Künstler Basir Mahmood entschleunigt das Biennale-Publikum in der Akademie mit seiner Videoarbeit „all voices are mine“, in der er Schauspieler*innen der pakistanischen Filmindustrie Lollywood einlud, Gesten aus früheren Filmprojekten zu reinszenieren. Endprodukt ist ein stiller, ästhetisch ansprechender Film zwischen Fotografie und Bewegtbild, der über Erinnerung und Wiederholung reflektiert.
In Summe schafft es die 10. Berlin Biennale unter dem Titel „We don’t need another hero“ großartige Positionen außereuropäischer Künstler*innen zu zeigen, ohne sie in eine programmatische Ecke zu drängen. Damit nimmt sie den Faden der letzten documenta in Athen und Kassel auf und spinnt ihn weiter – wenn auch deutlich ruhiger und unaufgeregter. Als Teil einer Bewegung, die sich neben aktuellen Ausstellungen wie „Hello World“ im Hamburger Bahnhof auch in Filmen wie Ryan Cooglers „Black Panther“ oder dem Musikvideo zu „Apeshit“ von Beyoncé und Jaz-Z abzeichnet, treiben Gabi Ngcobo und ihr Team die Verschiebung der Wahrnehmung jedenfalls erfolgreich weiter.
Weitere Besprechungen unter:
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Die Kehrseite der Kehrseite. Die Berlin Biennale in der Akademie der Künste
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Weiße Männer ohne Hosen - Die Berlin Biennale im ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik
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10. Berlin Biennale: We don’t need another hero
Und ein Video unter:
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Erste Eindrücke
Ausstellungsorte:
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin / KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin / Volksbühne Pavillon, Rosa-Luxemburg-Platz, 10178 Berlin / ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik, Siemensstraße 27, 10551 Berlin
Künstler_innen:
Agnieszka Brzeżańska, Ana Mendieta, Basir Mahmood, Belkis Ayón, Cinthia Marcelle, Dineo Seshee Bopape, Elsa M´bala, Emma Wolukau-Wanambwa, Fabiana Faleiros, Firelei Báez, Gabisile Nkosi, Grada Kilomba, Heba Y. Amin, Herman Mbamba, Joanna Piotrowska, Johanna Unzueta, Julia Phillips, Keleketla! Library, Las Nietas de Nonó, Liz Johnson Artur, Lorena Gutiérrez Camejo, Lubaina Himid, Luke Willis Thompson, Lydia Hamann & Kaj Osteroth, Lynette Yiadom-Boakye, Mario Pfeifer, Mildred Thompson, Mimi Cherono Ng´ok, Minia Biabiany, Moshekwa Langa, Natasha A. Kelly, Okwui Okpokwasili, Oscar Murillo, Özlem Altın, Patricia Belli, Portia Zvavahera, Sam Samiee, Sara Haq, Simone Leigh, Sinethemba Twalo und Jabu Arnell, Sondra Perry, Tessa Mars, Thierry Oussou, Tony Cokes, Tony Cruz Pabón und Zuleikha Chaudhari.
berlinbiennale.de/
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