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ANSELM - oder warum der neue Film von Wim Wenders über Anselm Kiefer Kitsch ist

von Daniela Kloock (12.10.2023)
vorher Abb. ANSELM - oder warum der neue Film von Wim Wenders über Anselm Kiefer Kitsch ist

ANSELM, 2023, © Road Movies, photograph by Wim Wenders

„Hallo Anselm, hier ist Wim, machen wir jetzt endlich unseren Film?“ so könnte man sich den Start für dieses Filmprojekt vorstellen: Einer der weltweit bedeutendsten deutschen Filmemacher trifft auf einen der weltweit bedeutendsten deutschen Maler. Zwei Männer, die einiges verbindet. Derselbe Jahrgang, beide 1945 ins Nachkriegsdeutschland hineingeboren, dieselbe Kondition, vor allem aber dieselbe Passion. Der eine „Künstler der Unterwelt“, ein malerischer Gigantomane, der wie besessen die deutsche Geschichte durchwühlt, der andere ungleich spielerisch-offen, ein unentwegt Reisender, der als junger Mann gern Priester geworden wäre, technikaffin und experimentierfreudig.

Interessant ist, dass beide Künstler das, was „Bild“ genannt wird, als zu klein, zu flach, zu gering für ihre Kunst empfinden. Kiefer kultiviert hierzu die Bearbeitung seiner ins Monumentale reichenden Leinwände. Viele seiner Bilder wirken, mit Erde, Stroh, Blei, Asche oder Textilien versehen, wie aufgepolstert. Und Wenders? Er propagiert nichts Geringeres als die Neukonstruktion des filmischen Raumes in die Tiefe hinein, mittels 3D. Es geht um Raum-Ergreifung, um das Hineinziehen der Betrachter in den jeweiligen Bilderkosmos, letztendlich um Überwältigung.

Leider bezieht sich dieses Moment bei „Anselm“ nicht nur auf die Ästhetik, also auf die Machart des Films, sondern auch auf seine inhaltliche Konzeption. „Anselm“ ist weder ein Dokumentarfilm noch ein Portrait, sondern leider eine ungebrochene One-Man-Show. Der Maler inszeniert sich vor wechselnden Kulissen, vorzugsweise seiner eigener Werke, und Wenders umkreist ihn dazu mit seiner 3D-Kamera. Es gibt in diesem Film keine Fragen, keine Kommentare, keine Brüche oder Leerstellen. Wir folgen einer unentwegt selbstverliebten Feier eines Mannes, der Großes tut, gefilmt von einem anderen Mann, der auch Großes tut. Beide, so scheint es, wollen eingehen in den Zenit der Unsterblichen. Doch will man bei solch ungebrochen männlichen Bemächtigungsprojekten unbedingt dabei sein?

Von der Komposition her bewegt sich der Film weitgehend chronologisch entlang der Wirkungsstätten des Malers. Einzelne wichtige Stationen und Erlebnisse werden jedoch teilweise nachinszeniert. So taucht dann und wann ein kleiner Junge auf, der die Nachkriegswelt staunend und stumm beforscht, ein Neffe des Filmemachers. Später dann Kiefer als junger Mann (dargestellt vom Sohn des Künstlers Daniel) auf den Spuren Van Goghs oder mit dem Fotoapparat vorzugsweise in Schneelandschaften unterwegs. Die ersten drei Ateliers im Odenwald kommen vor, dazu die frühen, bereits Aufsehen erregenden Aktionen, dann der Kontakt zu Joseph Beuys. Das hätte ein interessantes Kapitel für die Nachwelt werden können. Ist Kiefer ohne Beuys denkbar? Beziehungsweise, wieviel Beuys steckt eigentlich in Kiefer? Aber nein, der Film hat keine Fragen, sondern liebt Architekturen – vorwegnehmend vielleicht, dass der nächste Film von Wenders über den Stararchitekten Peter Zumthor sein wird.


ANSELM, 2023, © Road Movies, photograph by Wim Wenders

Nach den großen Erfolgen Anselm Kiefers, ausgehend von US-amerikanischen Museen und Sammlern - auch dazu kein Wort - sehen wir dann die gigantischen Atelier-Hallen bei Paris. Sie sind randvoll mit unzähligen Leinwänden, so hoch und breit, dass beeindruckende Bilderschluchten entstehen. Hier radelt Anselm Kiefer Charlie-Chaplin-mässig durch sein Reich, fröhlich pfeifend, um dann und wann an einem seiner betuchten Bilder zupfend. So klein wirkt er da, auch weil von oben gefilmt, dass es fast unfreiwillig komisch wirkt. Dabei sollen doch Schwere und Pathos dominieren.

Vorzugsweise wird jedoch der schwarz gewandete Künstler gezeigt, wie er seine monumentalen und nur noch mit Hebebühnen erreichbaren Leinwände malträtiert, wie er sie beklebt, befeuert und bewässert, mit Blei überschüttet, sie zuweilen brutal wirkenden Zurichtungen aussetzt. Ein paarmal ergreift der Maler auch das Wort, und das klingt dann so: „Der größte Mythos ist der Mensch selbst“, oder „die Menschen suchen das Leichte, weil sie das Schwere nicht sehen wollen“. Wow! Ansonsten müssen Paul Celan und Ingeborg Bachmann bezeugen, dass das, was Kiefer macht, bedeutungsschwanger und tiefsinnig ist.

Und dann kommt der filmische Höhepunkt der Kieferschen Gigantomanie, das 40 Hektar umfassende Gelände der ehemaligen Seidenspinnerei in Barjac, Südfrankreich. Seit 1992 kämpft Kiefer hier gegen das Vergessen oder das Übersehen-werden an. Ein menschenleeres Gelände - gezeigt werden riesige Hallen, überdimensionale Behausungen, unterirdische Gänge, tempelartigen Anlagen, Neubauten aus Glas und Beton. Wer diese Geisterstadt finanziert, was das Ganze soll, warum das Gelände nicht zugänglich ist – all das bleibt ohne Antwort.

Stattdessen darf der hübsche Knabe erneut im Kornfeld liegen, durch ein barockes Schlösschen lustwandeln oder Vorsicht Sinn! Mai-Käfer-flieg summen. Der Gipfel an unerträglicher Beweihräucherung ist jedoch erreicht, als Wenders Kiefer auf ein Hochseil stellt. Hier balanciert der Maler mit einer langstieligen Sonnen-Bleiblume versehen über eine kriegszerstörte Stadt. Ja, der Krieg war ein Meister aus Deutschland, aber jetzt führt „Anselm“ uns ins Himmelreich.

Eine „Kieferoper“ könnte man das Ganze nennen, die vorbehaltlose Feier eines Weltenschöpfers. Nicht zuletzt der Score – neben der dominanten Musik ein pausenloses Wispern und Rauschen, ein bedeutungsschweres Geflüstere und Gezirpe, die Stimmen der Namenlosen, Vergessenen, Toten? ­­– trägt zu diesem Eindruck bei. Von monumentaler Poesie ist in den Kritiken die Rede, von dreidimensionaler Bild-Überwältigung, von einem einzigartigen Portrait eines Künstlers in 3D. Aber nein, das Ganze ist eine ungebrochene und selbstverliebte Inszenierung zweier nicht mehr ganz taufrischer Männer. Kiefer, der Garant deutscher Scham und Schuld, Wenders, der letzte Säulenheilige des deutschen Kinos. Was dabei herauskommt ist leider eine Schnulze, ist reinster Kitsch.


Ab heute in den Kinos.

ANSELM
Regie: Wim Wenders
Produktion: Karsten Brünig, Kamera: Franz Lustig
Musik: Leonard Küßner
Kostüm: Heike Fademrecht
Schnitt: Maxine Goedicke
Darsteller*innen: Anselm Kiefer, Daniel Kiefer, Anton Wenders

Daniela Kloock

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