19 Uhr: Kinga Tóth ist Künstlerin und Soundpoetin, die ihre Texte mit Objekten sowie Video- und Soundinstallationen verbindet und diese auch performt. daadgalerie, Oranienstr. 161, 10969 Berlin
E.1027 bezeichnet kein Parfum, auch keine neue Modemarke. E.1027 ist die Chiffre für ein weißes Haus, dessen Vergangenheit im Dunkeln liegt. Die Avantgardekünstlerin Eileen Gray, die man vor allem mit ihren raffinierten Möbeldesigns in Verbindung bringt, realisierte in den 1920er Jahren an der Côte d'Azur einen Baukörper, der zu einer Architekturikone der Moderne werden sollte.
Ihren Traum vom Wohnen verwirklichte die legendäre adlige Dame zusammen mit dem rumänischen Journalisten und Architekten Jean Badovici. Ihr „Bateau de Mer“, wie sie die Villa liebevoll nannte - vom Meer aus wirkt das Gebäude tatsächlich wie ein auf den roten Felsen gestrandetes Boot - offenbart jedoch seine Genialität und Einzigartigkeit nicht nur in seiner äußeren Form. Denn Eileen Gray war davon überzeugt, dass Architektur von innen heraus gedacht und geplant werden muss. Licht, Farben, Möbel und die Texturen der Räume sollen eine Komposition ergeben, eine Art Melodie, die uns emotional anspricht und umhüllt. Damit stand die Künstlerin im Widerspruch zu den auf Funktionalität beruhenden Konzepten, wie beispielsweise der industriell gefertigten Wohnmaschine Le Corbusiers, die dieser gleichermaßen programmatisch wie erfolgreich zu jener Zeit propagierte. Eileen Gray, eine der ersten Frauen, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts überhaupt als Architektinnen in Erscheinung traten, stellte sich damit bewusst gegen die rational-kühlen Entwürfe ihrer männlichen Kollegen. Dies sollte jedoch nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Es ist ein schwieriges Unterfangen, sich der Lebensgeschichte von Eileen Green bzw. ihrer Villa und all den Mythen und Erzählungen, die sich um dieses Gebäude ranken, anzunähern. Eileen Gray hatte an ihrem Lebensende verfügt, sämtliche Briefe und Korrespondenzen mit Jean Badovici zu vernichten. So bleibt unklar, welcher Art ihre Beziehung war und welchen Anteil der Rumäne an der Planung der Villa hatte. Auch wie es dazu kommen konnte, dass Le Corbusier sich des Hauses bemächtigte, ist bis heute eine strittige Auseinandersetzung in der Architekturrezeption. Denn der Architekt übermalte die ursprünglich weißen Wände des Hauses mit bunten, teilweise obszönen Fresken, nachdem Eileen Gray ausgezogen war und das Haus Badovici überlassen hatte. Corbusier konnte offenbar nicht ertragen, dass hier eine Frau etwas entworfen und gebaut hatte, das alles bisher Dagewesene übertraf. Ohne Archivmaterialien zu den Vorgängen bleibt E.1027 ein quasi sprachloser Erinnerungsspeicher einer produktiven Liebe (?) und eines brutalen (?) Übergriffs eines Stararchitekten. Denn war die Übermalung nicht Versuch einer Auslöschung/Zerstörung des Werks einer Künstlerin?
Dem Schweizer Regieduo, Beatrice Minger und Christoph Schaub, gelingt ein gleichermaßen mutiger wie charmanter Film. Denn ihnen geht es nicht um die Suche nach einer eindeutigen (dokumentarischen) Wahrheit. Das macht den Film so schön. Vielmehr gleicht er einer sensiblen kinematografischen Versuchsanordnung. Dabei lassen die beiden Regisseure immer die Frage mitschwingen: „Könnte es zwischen all den Beteiligten so gewesen sein?“ Formal bzw. gestalterisch wird mit Reenactment inszeniert. Die einzelnen Szenen bewegen sich auf unterschiedlichen Handlungs- und Zeitebenen, werden teilweise im Studio oder an Originalschauplätzen nachgespielt. Rückprojektionen und ein perfekt einsetzendes Sounddesign geben dem Ganzen eine scheinbar spielerische Leichtigkeit. Neben der gekonnten Montage überzeugt jedoch vor allem das Spiel der drei Protagonisten. Die SchauspielerInnen agieren häufig in quasi leeren, sehr dunkel gehaltenen Studioräumen mit spärlichen Requisiten. Durch diese Reduktion werden Nähe und Ferne des Beziehungsreigens fein austariert. Selten sah man so zarte und elegant inszenierte Szenen im Rahmen einer Doku-Fiction. Über die spektakulären Bilder, die am Originalschauplatz gedreht wurden, braucht man keine weiteren Worte zu verlieren, man will einfach sofort dorthin.
„E.1027-Eileen Gray und das Haus am Meer“ ist ein eleganter und durch und durch ungewöhnlicher Film. Sich als Zuschauer gleichermaßen intellektuell gefordert wie emotional berührt zu fühlen, ist mittlerweile ein seltenes Kinovergnügen. Hohe Kunst also!
E.1027 – EILEEN GRAY UND DAS HAUS AM MEER
Schweiz 2024, 89 min.
Regie: Beatrice Minger,
Ko-Regie: Christoph Schaub
Drehbuch: Beatrice Minger in Zusammenarbeit mit Christoph Schaub
Cast: Natalie Radmall-Quirke, Axel Moustache, Vera Flück, Charles Morillion
Der Film lief bereits auch verschiedenen Festivals.
Kinostart: 24.10.2024
riseandshine-cinema.de
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