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Kakophonie auf Augenhöhe. „Estuaries“ von Naama Tsabar im Hamburger Bahnhof

von Lisa Rocke (18.04.2024)


Kakophonie auf Augenhöhe.  „Estuaries“ von Naama Tsabar im Hamburger Bahnhof

Naama Tsabar, Melodies of Certain Damage (Opus 2), Performanceansicht, Faena Art Center Buenos Aires, 2018. Komponiert und aufgeführt von Gabriela Areal, Rose Blanshei, Florencia Curci, Violeta García, Luciana Rizzo, Natalia Spiner, Sarah Strauss Naama Tsabar und Carola Zelaschi. © Faena Art Center, Foto: Jorge Miño

Bässe dröhnen, ein Frauenchor schreit durch die Lautsprecher und ein Mann mit Hut zupft engagiert an den aufgespannten Saiten einer blauen Filzskulptur an der schwarzen Wand. Die Schlange zur Eröffnung der Ausstellung Estuaries der Installations- und Performancekünstlerin Naama Tsabar vor dem Hamburger Bahnhof ist lang. Die Wartezeit beträgt etwa zwanzig Minuten. Das bekannte Berliner Künstler*innenduo EVA & ADELE flaniert durch die Kleihueshalle, auch sonst ist viel los. Und es ist laut.

„Das ist ja eine Kakophonie“, ist von einem Besucher zu hören. Eine Kakophonie wird vom Duden als „schlecht klingende Folge von Lauten“ und „Missklang“ definiert. Dissonant klingt das, was im Übrigen von den Besucher*innen der Ausstellung selbst produziert wird, in jedem Fall. Oder wie ein experimentelles Musikstück. Die Ausstellung Estuaries (dt. Flussmündungen) umfasst drei Werkkomplexe mit interaktiven Wand- und Bodenarbeiten, die vom Publikum als Instrumente klanglich aktiviert werden können. Es ist Naama Tsabars erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland.

Endlich gibt es mal wieder etwas zum Spielen. In einer Kunstwelt, in der viele Werke unantastbar und abgehoben wirken, brechen Tsabars Arbeiten bewusst mit dieser Konvention. Die anfängliche Überwindung liegt eher am Museum als Ort und dem Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, wenn Werke berührt werden. Tsabars Arbeiten laden geradezu dazu ein, aktiv zu werden. Die gebogenen, quadratisch flächigen Skulpturen an den Wänden, genannt "Works on Felt", bestehen aus mit Karbon behandelten Filzausschnitten, auf denen Klaviersaiten gespannt sind. Diese sind mit Mikrofonen versehen, sodass sie Schwingungen aufnehmen und in Töne verwandeln können. Dieser Moment der Irritation, in dem der Filz eigentlich Schall schlucken sollte, aber stattdessen als Resonanzkörper fungiert, lässt sich als eine Referenz zu Joseph Beuys verstehen. Die Joseph Beuys. Sammlungspräsentation wurde direkt neben Naama Tsabars Werk eröffnet.

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Naama Tsabar, Inversion, Performanceansicht, Shulamit Nazarian Gallery, Los Angeles 2020. Komponiert und aufgeführt von Nicki Chen-Walters, Diana Diaz, FIELDED, Kristin Mueller, Sarah Strauss und Naama Tsabar. © Shulamit Nazarian

Ein interessanter, fast erotischer Aspekt offenbart sich in Tsabars Arbeit Inversions. Teilweise vulvenähnliche Ausformungen und Hohlräume in den Wänden dienen als eingelassene Klangkörper, die von den Besucher*innen aktiviert werden können, indem sie beispielsweise ihre Hand hineinhalten. Es könnte hierbei zu einer fast intimen Begegnung mit den Werken kommen, die leider während der Vernissage und die Anwesenheit von etwa 40 weiteren Menschen im Raum nicht wirklich möglich ist.

Die Ausstellung hat etwas Cooles, einen Underground-Vibe, der von der Clubkultur inspiriert zu sein scheint. Schwarze Wände, Gaffertape, das die Ausstellungsräume quasi einrahmt, und offene Kabel sowie sichtbare Verstärker tragen zu dieser Atmosphäre bei. Auf einem flachen weißen Podest auf dem Boden sind mehrere zerstörte Einzelteile von E-Gitarren neu angeordnet – und sie funktionieren immer noch. Tsabar erklärt, dass es ihr um "creation over destruction" gehe. Nicht die Zerstörung, sondern vielmehr der Moment danach ist wichtig. Es stimmt hoffnungsvoll, dass aus den kaputten Stücken ein neues, funktionierendes Instrument entstehen kann.

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Ausstellungsansicht „Naama Tsabar. Estuaries“, Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, 12.04-22.09.2024. Abgebildet: Naama Tsabar, Melody of Certain Damage #21, 2022. Courtesy of the artist and Dvir Gallery, Paris; Kasmin Gallery, New York; Goodman Gallery, London; Nazarian / Curcio, Los Angeles; and Spinello Projects, Miami. Foto: Jacopo La Forgia

Vermittlung und Partizipation spielen eine zentrale Rolle: Zur Ausstellung gehören Aufnahmen von Performances, die vor Ort in Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen von sich als weiblich oder non-binär verstehenden Künstler*innen entstanden sind. Damit verschwimmen in Estuaries die Grenzen zwischen Skulptur, Musik, Performance, Architektur und Vermittlung endgültig. Menschen, die mitgestalten möchten, können das hier auf Augenhöhe. Es ist nicht kompliziert. „Let's make some music!“, ermutigt der Direktor Sam Bardaouil die Besucher*innen der Vernissage und genau das ist es, was Estuaries ermöglicht – eine kreative Interaktion und gemeinsame Gestaltung. An einem anderen Tag, an dem nicht so viele Besucher*innen in der Ausstellung sind, entsteht dann wahrscheinlich auch eine Euphonie und keine Reizüberflutung.

Naama Tsabar
Estuaries
12.04.2024 bis 22.09.2024
Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart
www.naamatsabar.com

Lisa Rocke

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