Im Rahmen dieses Tages bieten viele Berliner Moscheen Führungen, Vorträge, Ausstellungen, Folklore, Informationsmaterialien und Begegnungsmöglichkeiten an.
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Wo liegen die Grenzen des Verlangens? Wie kann ein Gefühl durch und mit Objekten übertragen werden? Zwei Fragen, denen die spanische Künstlerin Eva Fàbregas (* 1988 in Barcelona) in ihrer aktuellen Einzelausstellung im Hamburger Bahnhof nachgeht. Wie Riesenraupen lungern ihre Arbeiten in der historischen Eingangshalle. Die knorpeligen Geschöpfe liegen am Boden, hängen an den Stahlpfeilern hoch oben an der Decke - unklar, wie sie es hierher geschafft haben. Sie scheinen durch die Schwerkraft bewegungslos, die Metallstreben schneiden ein. Diese Wesen wirken schlaff wie nach einer üppigen Mahlzeit, satt und zufrieden. Was sich in ihren Rundungen und Ausstülpungen befindet, muss nun erst einmal verdaut werden. Ihre Haut zieht sich wie ein Riesenstrumpf in einer homogenen Textur über sämtliche Wölbungen und sanften Kurven - weich und schwer.
Eva Fàbregas Werke erinnern an ... Etwas. Sie stellen nichts konkret dar, benennen nichts eindeutig, passen sich anderen Formen an und könnten zu groß geratenes Spielzeug sein. In grellen Farben ähneln sie zugleich Sexspielzeug, das sich selbstbewusst zu erkennen gibt, das allerdings auch als Designware durchgehen könnte. Sie vermitteln eine Ahnung von etwas Erotischem, etwas tief Inneren. Die Farbigkeit von beige bis hautfarben in rötlich-violetten Abstufungen verstärkt den Eindruck an großgezogene Körperteile, an etwas Organhaftes und damit verbundene erogene Zonen. Zugleich erinnern sie an eine pornografische Apparatur, irgendwie fremdartig zum Eindrücken, Auspressen, Einstoßen, Abreiben...
Und plötzlich hat man den Eindruck, dass Fàbregas Kreaturen überrascht von sich sind. Denn sie befinden sich in einem Ausstellungsraum. Sie wirken hier hilflos, verloren und fehl am Platz. Warum hilflos, warum überrascht, welcher Ort wäre der richtige?
Ausstellungsräume sind meistens beherrscht von einer sterilen Sauberkeit. Sie sind tendenziell lustfeindlich und antiseptisch – konkret und plakativ: In der Gegenwart von Kunstwerken stellt der Mensch eine Gefahr dar. Mit seiner körperlichen Präsenz verändert er Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit, er betatscht alles und stolpert im schlimmsten Fall in Kunstwerke hinein. All diesen Gefahren wirkt der Ausstellungsraum entgegen: Zum einen mit aufwendigster Klima- und Alarmanlage. Doch vor allem ganz subtil mit einer dogmatischen Leere, dem harten Boden und den weißen Wänden. Sie verstärken den Schall und machen sichtbar, was stört und auffällt.
Und nun winden sich just hier Fàbregas´ lustvollen Wulste, hungrig nach mehr Berührung. Die Raupen haben kein Geschlecht und keine Zeitlichkeit, nichts Vergängliches, ohne Falten, Löcher oder sonstige Schäden. Eine eindeutige Zuordnung von „uns zugehörig“ oder „andersartig“ bleibt offen. Sie sind im weitesten Sinne Abjekte. Abgesehen von der Farbgebung, sehen sie alle gleich aus. Mit der Gleichartigkeit homogenisieren sich die Wesen zu einer Masse, ohne erkennbare Spitzen, Abweichungen. So besetzten sie den Raum, kapern ihn mit entschiedener Geste und stehen für eine andersartige Raumerfahrung. Dafür müssten sie aber keinen Ausstellungsraum für sich allein haben, der sie als hochtrabende Kunstobjekte isoliert und lobpreist. Womöglich entfalten Fàbregas Werke erst in Kombination mit Arbeiten anderer Künstler*innen ihre eigentliche Wirkung? Die Stärke von Fàbregas Raupen steckt in ihrem beiläufigen Auftreten, sozusagen als subversives Element. Sie könnten den bereits bestehenden Kunstraum schleichend einnehmen und ihn verschlingen: als Raupe, als Klitoris und Eichel zugleich, als gutartiges Geschwür, als Organ-Kreatur, als Abszess.
Ausstellungsdauer: 06.07.2023 bis 07.01.2024
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
Eva Fàbregas
Devouring Lovers
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Invalidenstraße 50/51, 10557 Berlin-Mitte
www.smb.museum
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