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Interviews in Ausnahmesituationen – mit Simone Haack

von Urszula Usakowska-Wolff (17.06.2020)
vorher Abb. Interviews in Ausnahmesituationen – mit Simone Haack

Simone Haack in ihrer Ausstellung „Sekundenschlaf“, Kunsthalle Brennabor, Brandenburg / Havel, 2020. Foto: Dominik Bonatz

Urszula Usakowska-Wolff im Gespräch mit Simone Haack: „Mein Hauptgefühl war zuerst, ausgebremst zu sein. Aber jetzt habe ich schon eine fast romantische Erinnerung an diese Lockdown-Zeit. Ich habe sie sehr genossen. Mir hat es gefallen, dass ich nichts verpasst habe, ich hatte keine Verpflichtungen, ich musste nirgendwo hin, ich durfte einfach zu Hause bleiben.“

Urszula Usakowska-Wolff: In Deiner beeindruckenden Einzelausstellung Sekundenschlaf, die bis zum 28. Februar in der Kunsthalle Brennabor in Brandenburg an der Havel präsentiert wurde, zeigtest Du 70 Ölgemälde und Zeichnungen, darunter einen maskierten Kopf unter dem Titel Verhüllte (2012) und Kiss (2017), das letztere mit einem Paar, das sich in Mund- und Nasenschutzmasken küsst. Diese Bilder wirken prophetisch und hoch aktuell. Ist die Künstlerin Simone Haack eine Seherin?

Simone Haack: (lacht) Ja, woher soll man so was wissen? Kiss bezieht sich auf ein konkretes Foto, das ich in einem alten Beitrag über Hygiene im Film gesehen habe, wo es auch darum ging, wie man sich ohne Gefahr küsst. Das Beste ist aber: Im Dumont Art Kalender 2020 – Malerei heute befindet sich auf dem Aprilblatt die Reproduktion meines Bildes Silence is golden (2018), das eine Frau mit Mundschutz und Handschuhen zeigt. Natürlich wusste ich, dass der April der Monat für mein Bild ist, trotzdem hat mich diese Koinzidenz in dem Moment ziemlich umgehauen. Mich interessiert der Mensch als Wesen, vor allem das Gesicht und was darin ablesbar ist, also das Innere, das sich darin ausdrückt. Das Gesicht betrachte ich als Plattform dessen, was sich im Menschen und um ihn herum abspielt. Deshalb beschäftige ich mich mit Masken, denn sie haben insofern etwas mit Identität zu tun, dass dadurch das Gesicht irgendwie entmenschlicht wird. Man sucht überall nach einem erkennbaren Ausdruck, nach einer Mimik, einer Spiegelung im Anderen, und das fällt unter der Maske komplett weg.


Simone Haack, Silence is golden, 2018, Öl auf Baumwolle, 110 x 70 cm. Foto: Lea Gryze

UUW: Deine Figuren haben fragile Identitäten und wirken oft isoliert. Auch wenn sie in Gruppen auftreten, scheint sie nichts miteinander zu verbinden. Ist Deine Kunst eine Reaktion auf die heutige Welt, in der Beziehungslosigkeit und Entfremdung um sich greifen?

SH: Indirekt. Was mich am meisten interessiert, ist, wie ich schon gesagt habe, das Gesicht als Ausdruckträger und auch als Ort der Kommunikation. Mir geht es nicht um die Darstellung einer bestimmten Person, um Porträts im eigentlichen Sinne, denn ich male fiktive, suggestive Bildnisse. Ich arbeite so lange am Gesicht, bis eine Spannung im Ausdruck da ist, die zwischen zwei Polen liegt, zwischen Anziehung und Abstoßung, Süße und Schauder. Ich versuche, im Gesicht eine Spannung herzustellen, die ambivalent ist.

UUW: Ist es das, was Dich an der gegenständlichen Malerei reizt?

SH: Ich hatte mich schon früh im Studium für gegenständliche Malerei interessiert, Ende der Neunziger, als es noch verpönt war, so zu malen. Mir war es immer wichtig, etwas Eigenes zu machen. Ich habe schon immer eine Vision von einer Bildsprache gehabt, die eine Art Parallelspur zur „Realität“ darstellt und mit den Mitteln des Realismus arbeitet, aber nicht „Realität“ abbildet.

UUW: Ein anders Sujet Deiner Bilder sind Tiere. Ist das Tier das Alter Ego des Menschen? Drückt es das Animalische im Menschen aus?

SH: Ich kann das nicht genau sagen, aber mich interessiert die tierische Seite im Menschen und umgekehrt. Tiere werden dadurch vermenschlicht, dass sie Haustiere geworden sind: Ich malte einen Hund, der einen Leopardenmantel trägt oder Hunde, die in villenähnlichen Häusern wohnen. Das domestizierte Tier interessiert mich, deshalb sind es meistens Haustiere, mit denen ich mich beschäftige.


Simone Haack, In the Rabbit Hole, 2020, Öl auf Baumwolle, 80 x 130 cm. Foto: Lea Gryze

UUW: Seit Mitte März leben wir in einer Ausnahmesituation, die als „Corona-Krise“ bezeichnet wird. Zwar ist der Lockdown vorbei, aber die Lage ist noch immer nicht normal. Welche Auswirkungen hat diese Zeit auf Dein Leben und Deine künstlerische Arbeit?

SH: Ich konnte in dieser Zeit nicht viel arbeiten. Für meinen Mann und mich war es die Hauptherausforderung, dass wir alle plötzlich zu Hause waren und dass wir unsere Tochter, die bis zum Lockdown in einer KITA war, betreuen mussten. Das war eigentlich auch schön, weil wir wieder viel Zeit miteinander verbringen konnten, doch alles, was künstlerische Arbeit betrifft, musste nebenbei gemacht werden oder ist von der Schlafenszeit abgegangen. Eine Zeit lang habe ich meine Tochter ins Atelier mitgenommen und ich dachte, das könnte sich so etablieren, es hat aber nicht ganz so gut funktioniert (lacht). Also habe ich meine Staffelei zu Hause aufgestellt und meinen Arbeitsplatz eingerichtet. Immer, wenn sich ein kleines Zeitfenster aufgetan hat, habe ich mich an die Staffelei gesetzt und gemalt.

UUW: War das eine Flucht vor der Wirklichkeit oder die normale Arbeit einer Malerin?

SH: Für mich war es eigentlich eine normale Arbeit, aber dadurch, dass die Zeit so kostbar geworden war, habe ich versucht, mich auf ganz bestimmte Dinge zu konzentrieren. Ich konnte Dinge machen, die ich mir schon länger vorgenommen, aber es hier im Atelier nie geschafft habe, weil Ausstellungen anstanden oder ich unter Druck war. Jetzt konnte ich Dinge ausprobieren, die ich fortsetzen werde. Ich habe an meinen Farben gearbeitet. Das sind jetzt verschiedene Blautöne, aber es bleibt nicht bei dem Blau, da wird noch viel mehr passieren, bei den Motiven und Farben. Ich möchte noch mehr daran arbeiten, mit Farben Bedeutung zu erzeugen. Das sind ganz konkret Dinge, die ich jetzt gemacht habe und die ich in kleinen Formaten auch ganz gut ausprobieren kann. Darüber hinaus habe ich vor kurzem ein CD-Cover gestaltet, das ist für mich etwas Neues. Die Verbindung zur Musik gab es schon immer, denn ich habe eine Zeit lang für das Magazin Rolling Stone Musikerporträts gemalt, aber dieses CD-Cover ist mein erstes, und zwar für die EP In June der Band White Rose Transmission, ein Projekt von Carlo van Putten. Im Herbst kommt dann ihre LP unter dem Titel Happiness at Last heraus.


Simone Haack, Grace, 2020, Öl auf Baumwolle, 40 x 30 cm. Foto: Lea Gryze

UUW: Hast Du an Ausstellungen teilgenommen, die nicht besichtigt werden konnten oder aufgeschoben wurden?

SH: Ja, aber die haben nicht wirklich stattgefunden, weil sie zeitweise nicht betreten werden durften. Eine war in Dänemark, in der Galerie Moderne Silkeborg. Ich habe das Zugticket schon gebucht, die Ausstellung sollte im 14. März eröffnet werden, aber am 13. März wurde die Grenze geschlossen. In einer Galerieausstellung hätte ich meine Bilder gut verkauft, diese Situation ist also für mich mit Einbußen verbunden. In der Galerie Schmalfuss Berlin wäre die Eröffnung der Ausstellung Schwarzweiß am 20. März gewesen, die fand auch nicht statt. Zum Gallery Weekend Berlin sollte bei Alexander Ochs Private die Ausstellung Female Gaze, kuratiert von Silke Tobeler, ab dem 1. Mai gezeigt werden. Sie wurde auf Januar 2021 verschoben. Dann ist noch die von Uwe Goldenstein kuratierte Ausstellung Melancholic Resistance, die zum Gallery Weekend im Kühlhaus stattfinden sollte, auch weggefallen. Und die von WP Fahrenberg kuratierte Gruppenausstellung Wider das Böse im Bomann-Museum Celle wurde auf ein Jahr später verschoben. Es finden aber auch Ausstellungen statt: Ab dem 26. Juni läuft Pirouettes en Dehors, kuratiert von Julia Brodauf, in der Alten Schule Adlershof.

UUW: Wie wirst Du diese Zeit, als das öffentliche Leben zu Erliegen kam, in Erinnerung behalten? Als Zäsur, Pause, Erholung vom Stress und der üblichen Hektik? Oder ist das eine verlorene Zeit?

SH: Nein, auf keinem Fall! Mein Hauptgefühl war zuerst, ausgebremst zu sein. Aber jetzt habe ich schon eine fast romantische Erinnerung an diese Lockdown-Zeit. Ich habe sie sehr genossen. Mir hat es gefallen, dass ich nichts verpasst habe, ich hatte keine Verpflichtungen, ich musste nirgendwo hin, ich durfte einfach die ganze Zeit zu Hause bleiben. Für mich war es eigentlich eine gute Zeit, eine fruchtbare Zeit, wir haben viel zusammen gemacht. Und in den freien Augenblicken habe ich mich auf die Malerei gestürzt, weil die Zeit für künstlerische Arbeit eben so kostbar geworden war.

UUW: Wird sich das Leben nach der Pandemie ändern, wird es weniger Hektik und Stress als vorher geben?

SH: Ich glaube, dass ziemlich schnell alles so sein wird wie früher und dass man diese Zeit sehr schnell vergisst. Das finde ich im Moment ein bisschen schade, denn jetzt geht es wieder los, man fühlt sich verpflichtet, irgendwo hinzugehen oder man sieht, was man alles verpassen kann.

UUW: Gibt es für Dich Alternativen zur künstlerischen Arbeit?

SH: Es gab eine Zeit, da habe mit dem Gedanken gespielt, Psychologie zu studieren. Ich habe auch immer wieder Momente, wo ich mit dem Film am Liebäugeln bin. Ich dachte, es könnte eine Alternative geben, aber letztlich gibt es sie nicht, weil ich mit meiner Kunst so zusammengewachsen bin, dass sie eben zu mir gehört.

Simone Haack (* 1978 in in Rotenburg / Wümme, lebt in Berlin) studierte Freie Kunst/Malerei an der HfK Bremen, der Unitec School of Design in Auckland/Neuseeland und der École des Beaux Arts in Paris. 2006 wurde sie mit dem Willi-Oltmanns-Preis für Malerei ausgezeichnet. Ihre Werke sind in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten wie zum Beispiel in der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages oder im Frissiras Museum Athen.

simone-haack.de

Urszula Usakowska-Wolff

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