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Radikal vertraut. Nan Goldin in der Akademie der Künste

von Maximilian Wahlich (15.04.2023)
vorher Abb. Radikal vertraut. Nan Goldin in der Akademie der Künste

Nan Goldin, Trixie on the cot, New York City, 1979, Cibachrome print (41 x 60 cm), Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery, © Nan Goldin

Am 3. März 2023 erhält die Fotografin Nan Goldin den Käthe-Kollwitz-Preis in der Akademie der Künste im Hanseatenweg verliehen. Doch schon jetzt ist ihre Ausstellung, die neben einem Preisgeld ausgerichtet wird, dort zu sehen.

Mit rund 50 Fotografien wird ein Überblick über Goldins fotografisches Werk gegeben, wobei der einzige Raumtext kaum auf einzelne Fotografien oder Werkkomplexe eingeht. Wer also die Künstlerin noch nicht kennt, erhält detailliertere Informationen auf der Website der AdK oder beispielsweise zu ihre wohl bekannteste Fotostrecke „The Ballad of Sexual Dependency“ (dt: „Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit“) auf der Website des MoMA (ein frühes Video zu Nan Goldins Ausstellung 2009 bei C/O Berlin im Postfuhramt findet sich hier.)

Nan Goldin (* 1953 in Washington, D.C.) verfolgt einen politischen Aktivismus, der bis zu den aktuellen Protesten gegen den Pharmakonzern Sackler anhält. Zugleich bezeugen ihre Fotografien eine berührend schöne Nähe zu Goldins Porträtierten. Viele dieser Personen sind queer und gehören zu ihrem Freundeskreis.

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Nan Goldin, Thora on my white bed, Brooklyn, NY, 2020, Archival pigment print (76,2 x 102 cm), Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery, © Nan Goldin

Wir blicken in einen hellen Raum, eine mehr oder weniger erotisch aufgeladene Szenerie. Das Licht fällt weich und vernebelt das Motiv in seine staubigen Atome. Das weiße Laken spiegelt sich im bläulich-rosafarbenen Dunst, als hätte es keinen Kern, wirkt rein stofflich wie Tüll. Darauf liegt wie in einem romantischen Ingres-Gemälde ein nackter Mensch. Die Konturen sind körnig, die Oberflächen wie hinterm Schleier. Ihre Hände ruhen im Schoß, sie starrt zur Decke, verträumt ins Leere.
Womöglich denkt sie an die vergangene Nacht, an einen Kuss, an eine verlorene Person, oder sie listet in Gedanken die nächste Einkaufsliste auf?

Nan Goldins Charaktere bewegen sich in unserer Welt. Ihre Realitäten sind simpel, ohne Bohei, ohne Dramatik. Es sind Stuben, oftmals sogar eher hässlich. Meist ärmlich, abgewrackt, fleckige Wände, einfache Interieurs. Lebensräume, abseits der Öffentlichkeit und ganz banal. Sie sind nicht für den Besuch gedacht.
Diese Räume sind bewohnt – und die Porträtierten heißen uns Betrachtende jetzt willkommen, ganz unmittelbar in der Ausstellung. Wir schauen in diese Zimmer, wo sonst niemand hinsieht. Gerade unser Blick, wir bilden die Öffentlichkeit, dringt ein. Dadurch werden diese Interieurs so intim.
Niemand hat auf uns gewartet, niemand ist vorbereitet und wir ertappen den lebendigen Alltag. Goldins Personen rauchen, liegen matt im Bett, sind krank, drehen sich ab. Manche müssen gleich wieder aufbrechen und haben keine Zeit für großzügige Gesten.

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Nan Goldin, Jimmy Paulette and Tabboo! in the Bathroom, 1991, Cibachrome print (72,6 x 101,6 cm), Courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery, © Nan Goldin

Die Künstlerin macht die spröde Wirklichkeit in ihrer Allgegenwart fassbar. Flirrende Kleinheiten blitzen durch die Porträtierten auf: Der zauberhaft dichte Dunst wäre unsichtbar ohne diese nackte Person mit dem gedankenverlorenen Ausdruck. Ohne Jimmy Paulette und Tabboo! vor der Badetüre, kein Glitter, kein doppeldeutiger Augenkontakt, keine Zuneigung. So wird uns zugezwinkert, mich erkennt der komplizenhafte Blick. Ich bin Teil der Szene. Es sind die Menschen in den Fotografien, die leben und hoffen. Die Räume sind Staffagen, lebendig werden sie erst durch Goldins Charakterstudien und das Miteinander.

Dieses Miteinander wiederum ist weit mehr als freundschaftliche oder auch homo*erotische Zuneigung. Der Zusammenhalt schafft Safespaces, die Menschen schützen sich untereinander.
So ist unser Einblick mehr als eine floskelhafte Willkommensgeste. Diese Einladung zeugt von gegenseitigem Vertrauen. Als Zeugnisse dieses Vertrauens werden sie politisch und zu queerer Kunst, die über das einfach Schöne hinausgehen.

Käthe-Kollwitz-Preis 2022. Nan Goldin
Ausstellung, 20.1. – 16.4.2023
Di – Fr 14 – 19 Uhr, Sa + So 11 – 19 Uhr
Eintritt € 9/6, bis 18 Jahre, jeden Dienstag und am 1. Sonntag im Monat Eintritt frei

Preisverleihung an Nan Goldin: Freitag, 3.3.2023, 20 Uhr, Eintritt frei
Akademie der Künste
Hanseatenweg 10
10557 Berlin
adk.de
Am Sonntag, 5.3.2023, 18 Uhr: All the Beauty and the Bloodshed, Dokumentation (Preview), Regie Laura Poitras, USA 2022, OmU, 117 Min., Eintritt € 6/4


Maximilian Wahlich

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