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Berlinale 2019 Spezial zu Filmen des Wettbewerbs

von Daniela Kloock (14.02.2019)
vorher Abb. Berlinale 2019 Spezial zu Filmen des Wettbewerbs

Öndög
Wettbewerb 2019
MNG 2019
von: Wang Quan’an
Dulamjav Enkhtaivan, Gangtemuer Arild
© Wang Quan´an


Öndög
Wang Quan´an
Mongolei 2019


Ein Jeep rumpelt durch zitterndes Gras, irgendwo in der Weite der mongolischen Steppe. Auf einmal liegt da eine nackte Tote. Der Jeep gehört der Polizei. Nachdem die Leiche notdürftig bedeckt wird, muss der jüngste Uniform-Träger allein zurückbleiben, er soll den Tatort sichern. Der Arme ist der Kälte und einer herumirrenden Wölfin schutzlos ausgeliefert. Doch es gibt die schöne, alleinstehende Schafhirtin (Dulamjav Enkhtaivan), die sich majestätisch auf einem Dromedar durch die Landschaft bewegt. Sie soll sich um den jungen Mann kümmern. Doch erst treibt sie ihre Schafe zusammen. Spät in der Dämmerung kommt sie zurück, mit heißer Suppe, mit Alkohol, Zigaretten, einem alten Gewehr und einem verführerischen Plan.

„Öndög“, das bedeutet auf mongolisch „Ei“, und der Titel deutet damit schon an, dass es im Folgenden nicht um die Aufklärung dieses seltsamen Todesfalls geht, sondern um ein beginnendes neues Leben.
Die Kamera lässt sich für all dies Zeit, minutenlang sieht man erst den toten Körper im Gras, die ratlos herumstehenden Männer, den weiten Horizont. Diese Langsamkeit, Ereignislosigkeit, wirkt wie eine Aufforderung, sich quasi meditierend den Bildern hinzugeben. Das funktioniert in der ersten Hälfte des Films auch recht gut. Ein gewisser Witz ist auch vorhanden, so wenn das Dromedarauge misstrauisch den Beischlaf der Beiden beäugt. Auch die fast dokumentarisch gefilmten Szenen haben ihren Reiz. Ein Schaf wird geschlachtet, ein Kalb kommt zur Welt. Die Laien-Darsteller sind alle toll. Doch dann springt der Film zunehmend in eine Narration, wechselt die Tonigkeit, verliert seinen Charme.

Ob das wieder für einen Bären reicht, wie 2007 für „Tuyas Hochzeit“ darf bezweifelt werden. Dulamjav Enkhtaivan allerdings könnte durchaus Chancen auf einen Darstellerinnen-Preis haben. Seit Ulrike Ottingers „Johanna d´Arc of Mongolia“ (1988) sah man jedenfalls nicht mehr eine so gleichermaßen selbstbewusste wie geheimnisvolle Frau auf einem Dromedar durch die Weite einer Steppenlandschaft reiten.

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Systemsprenger | System Crasher
Wettbewerb 2019
DEU 2019
von: Nora Fingscheidt
Helena Zengel
© kineo Film / Weydemann Bros. / Yunus Roy Imer


Systemsprenger
R.: Nora Fingscheidt
Deutschland 2019


„Öndög“ ist ein Film, der durch Raum und Stille, durch seine offenen Landschaften und seine Langsamkeit Wirkung entfaltet. Das volle Gegenteil ist der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Systemsprenger“. Ein Film zum wahnsinnig werden: laut, redundant, hermetisch. Ohne die überragende schauspielerische Leistung der Hauptfigur wäre das Ganze ein Rührstück über gescheiterte SozialarbeiterInnen, böse ausgedrückt. So aber muss man 118 Minuten Helena Zengel bewundern. Sie spielt ein Mädchen, welches durch alle Betreuungsraster fällt, weil es unberechenbar und massiv gewalttätig ist. Dabei sehnt sich Bennie - die eigentlich Bernadette heißt, aber das ist ihr zu tussig - nur nach Wärme bzw. ihrer Mama. Doch diese ist überfordert und fürchtet sich vor den Wutausbrüchen ihres Kindes. Frau Bannafé (Gabriela Maria Schmeide), die engagierte Sozialarbeiterin, scheitert ebenso wie Michi (Albrecht Schuch). Er ist der Schulbegleiter, der in der Einsamkeit der Lüneburger Heide das Mädchen zu therapieren versucht, dann aber zunehmend die Distanz verliert. Dies ist dramaturgisch noch der interessanteste Teil des Films.

Die Kamera betrachtet das Geschehen aus der Sicht der Außenstehenden. Doch wenn die Gewaltausbrüche kommen, schwenkt sie um auf die Perspektive des Mädchens. Licht- und Farbblitze, Erinnerungsfetzen, Zwischenbilder wechseln sich kaleidoskopartig ab. Begleitet von einem ohrenbetäubenden Schreien und Kreischen. Danach beginnt das Drama wieder von neuem. Die nächste Station, das nächste Scheitern, der nächste Ausbruch. Entwicklung darf es ebenso wenig geben, wie die Visualisierung der vielen Opfer, der vielen Verletzten. Die Autorin und Regisseurin nimmt 100 Prozent die Position der Systemsprengerin ein. Und alle müssen identifikatorisch mit ihr fühlen. Und ja, die Gesellschaft, das System ist bemüht, engagiert, aber letztendlich rat- und hilflos. Das Psychogramm der Benni ist zweifellos geglückt, und wenn das Ganze im TV liefe, wäre man überrascht. Aber hochgehoben in den Wettbewerb der Berlinale? Über die Hintergründe dieser Entscheidung wüsste man gerne mehr.

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Der Boden unter den Füßen | The Ground beneath My Feet
Wettbewerb 2019
AUT 2019
von: Marie Kreutzer
Valerie Pachner, Marie Seiser
© Juhani Zebra / Novotnyfilm


Der Boden unter den Füßen
R.: Marie Kreutzer
Österreich 2019


Lola (Valerie Pachner) ist Unternehmensberaterin, ihre Karriere weist steil nach oben. Sie hat alles unter Kontrolle: ihre Garderobe, ihr Sportprogramm, ihr Liebesleben, vor allem aber natürlich ihren Beruf. Sie hat eine schicke Wohnung in Wien, aber da ist sie eigentlich nur zum Klamottenwechseln. Denn ihr Leben spielt sich zwischen gläsernen Büros, Hotels, vornehmen Restaurants und Fitnessräumen ab. Hundert Arbeitsstunden pro Woche sind keine Seltenheit, 48 Stunden ohne Schlaf kommen vor. Krankmachend, extrem kalt und unberechenbar ist diese Business-Welt, gleichzeitig aber macht sie wohl süchtig. „ In 50 Tagen ein ganzes Unternehmen umkrempeln, geil!“ sagt da einer und lauert schon, wie er KollegInnen austricksen kann, um selbst schneller nach oben zu kommen
Doch dann gibt es noch die andere Seite. Die Seite der am Leben Gescheiterten, der Schwachen und Kranken. Lolas Schwester Conny (Pia Hierzegger) ist nach einem Selbstmordversuch in der Psychiatrie gelandet. Sie leidet unter paranoiden Wahnvorstellungen und gilt als schizophren. Nun versucht sie ihre Schwester unter Druck zu setzen, fordert Hilfe und Unterstützung. So jettet Lola zwischen ihrem Job in Rostock und der Klinik in Wien hin und her.
Zwei Welten geraten aneinander. Oder ist es nur die jeweilige andere Seite desselben Phänomens? Die Krankenzimmer und Hospitalkorridore ähneln sie in ihrer Sterilität nicht den Büros und Hotelzimmern? Ist das zwanghafte Styling der Business-Kostüme nicht die andere Seite des Lotter-Looks derjenigen, die aufs Äußere „scheißen“, wie der Wiener so gerne sagt. Sind nicht letztendlich beide Frauen gefangen in ihren „Welten“?
Die Grenzen zwischen normal und nicht normal, um diese Kategorien zu gebrauchen, sind schmal, die Balance fragil. Darauf deutet auch hin, dass Lola auf einmal rätselhafte Anrufe erhält und Nachrichten, die angeblich von ihrer Schwester sind. Doch Conny hat weder ein Handy noch Außenkontakte, wie die Ärztin Lola versichert. Driftet Lola also auch in eine Paranoia ab? Oder ist da ein Moment eines nicht weiter auserzählten Psychothrillers? Die Regisseurin gibt zu, von Hitchcocks „Marnie“ ebenso inspiriert gewesen zu sein, wie von „Vertigo“. Am Ende des Films lässt sich Lola die Haare frisch blondieren, dann geht sie ans Grab der Schwester.
So ganz klar ist nicht, was der Film sein will, Charakter- und Milieustudie, Familiendrama, Psychothriller? Doch die Schauspielerinnen sind alle überzeugend, die Kamera von Leena Kopper beeindruckt, alles ist gekonnt in Szene gesetzt, und Ambivalenzen sind letztendlich sympathischer als eindeutige Botschaften.

Daniela Kloock

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