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Mit einem Tiger schlafen – ein Film über die Malerin Maria Lassnig

von Daniela Kloock (23.05.2024)
vorher Abb. Mit einem Tiger schlafen – ein Film über die Malerin Maria Lassnig

© Anja Salomonowitz, Mit einem Tiger schlafen, coop99 Filmproduktion

„Mit einem Tiger schlafen“ lautet der Titel eines Gemäldes der Malerin Maria Lassnig. Der gleichnamige Film widmet sich dem Leben dieser erst spät zu Ruhm und Ehre gekommenen Künstlerin.

Und Maria Lassnig war widerständig! Schon früh wehrte sich die 1919 in Kärnten geborene Künstlerin gegen Geschlechter-Zuschreibungen und -Stereotypen, gegen die männliche Dominanz auch und vor allem im Kunstbetrieb und gegen die österreichische Geschichtsvergessenheit – die braune Farbe hat sie zeitlebens ausgespart. Maria Lassnig war kompromisslos, kämpferisch und lange Zeit erfolglos. Ihre Landsleute, aber auch die Galeristen in Paris oder New York, wo sie zeitweise lebte, verstanden ihre Bilder nicht. Denn was sie (ver)suchte, war etwas vollkommen Neues. Nicht das unmittelbar Sichtbare interessierte sie, sondern das Erspüren des eigenen /weiblichen Körpers, die sinnliche malerische Aufhebung von Innen- und Außengrenzen. Die Ergebnisse ihrer „Erforschungen“ nannte sie ab den 1970er Jahren „Body-Awareness-Bilder“. Für bestimmte Gefühlszustände schuf sie sogar einen eigenen Farb- und Begriffskanon. Von Kälte- oder Qualfarben, Druck- oder Völlefarben, Höhlungs- und Quetschfarben ist in ihren Tagebuchaufzeichnungen die Rede. Doch wie ein solch feinsinniges und zugleich radikales Erspüren von Welt und dessen kongeniale Umsetzung in Malerei auf die Filmleinwand bringen?

Birgit Minichmayr als Maria Lassnig muss sich dieser Aufgabe stellen. Alterslos und weitgehend ungeschminkt, äußerlich über alle Lebensalter gleichbleibend, so inszeniert die Filmemacherin, die österreichische Anja Salomonowitz, ihre Hauptfigur. Kindheit, Jugend, verschiedene Lebensstationen, Wirkungsstätten in Kärnten, Wien, Paris, New York werden in komprimierten kurzen Szenen angerissen. Wichtiger ist die Atmosphäre, der Grundton des Films. Immer wieder sieht man Minichmayr in Atelierräumen, nur mit Unterwäsche bekleidet wie sie in Stille verharrt, ein Bild, das „zurecht schmerzt“, wie Maria Lassnig es nannte. Auf den unterschiedlichsten Stühlen fast abgleitend, ohne Halt sitzend, schweigend, wirken diese Szenen fast wie Live-Aufnahmen einer Performance. Jeder Körperhaltung, jedem Schulterzucken, jeder Geste, Grimasse und Mundbewegung wird viel Raum und Zeit eingeräumt.

Anja Salomonowitz ist für ihre eigenwilligen inhaltlichen und stilistischen Zuspitzungen bekannt. In Maria Lassnig sieht sie eine Künstlerin, die weitgehend in sich gekehrt, sozial isoliert und sexuell desinteressiert wirkt. Eine Frau, für die einzig ihre Malerei und ihre Karriere zählen. Folglich muss es auch ein nicht weiter ernst zunehmendes „Bürschlein“ sein (der 18-jährige Oskar Haag) sein, das Arnulf Rainer darstellt - immerhin der Mann, der neben vielen anderen Affären der Künstlerin ihr langjähriger Liebhaber und Künstlerkollege war.

Aber der Film will erklärtermaßen kein biografisch korrektes Portrait sein, schon gar kein Biopic mit konventioneller Erzählweise. Die Regisseurin mischt hierfür Spielfilmelemente mit dokumentarisch-theatralischen Elementen. Zum Beispiel die immer wieder auftauchende böse, abweisende Mutter oder unvermittelt eingebaute Interviewpassagen mit Zeitgenossen, wobei unklar bleibt, ob deren Aussagen authentisch sind. Demnach war die Künstlerin labil, ehrgeizig, geizig und im Umgang schwierig. „Meine Bilder, die müssen strahlen!“, so schnauzt sie einen Galeristen an, der ihre Bilder zu tief und zu eng hängt. In einer anderen Szene bekommt ihre Landsfrau, die Künstlerin VALIE EXPORT, ihren Ärger zu spüren. So vielleicht geschehen auf der Biennale in Venedig (1980), wo sich die beiden Frauen EINEN Ausstellungsort teilen mussten.

Die Stilwechsel, die den Film letztlich bestimmen, sind Geschmackssache. Zuweilen hat man den Eindruck, die Regisseurin verliert in ihrem hybriden Mix den Überblick oder ihre grundlegende These. Leider fehlt auch der Humor, die Bissigkeit, die in den Bildern Maria Lassnigs spürbar ist. Am Ende des Films sehen wir die Künstlerin, dem Tode nahe, zusammen mit ihrem Atelierassistenten den Himmel, die Wolken betrachtend. Die beiden philosophieren über die richtige Kontur, vor allem über das richtige Blau für ein Bild. „Ich mache nichts anderes als zu malen, und wenn ich nicht male, dann denke ich darüber nach“, das war das Lebensmotto der Künstlerin. Vielleicht kommt diese letzte Szene dem am nächsten, was sich die Regisseurin vorgenommen hat: eine poetische Annäherung an das Leben, das Werk Maria Lassnigs. Schön ist diese Schlussszene - nicht nur allein dafür lohnt der Film.

Filmstart: 23.05.24
Darsteller:inen:
Birgit Minichmayr, Lukas Watzl, Oskar Haag
Regie: Anja Salomonowitz
Länge: 107 min
Mit einem Tiger schlafen

Daniela Kloock

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