19 Uhr: mit Professorin für Medienkunst an der HGB Leipzig, Christin Lahr und den Künstler*innen der Ausstellung "Crimes of Carelessness (the deep and the foamy)" (engl.). VILLA HEIKE | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin
Urszula Usakowska-Wolff im Gespräch mit dem Berliner Galeristen Martin Kwade: „Die Entschleunigung ist nichts für mich. Ich hätte es gern, dass das Tempo noch schneller wird. Für mich als Galeristen ist der dadurch entstehende Druck sehr wichtig: Ich weiß, ich habe eine Ausstellung, mache einen Plan, den ich verwirklichen muss. Das fehlt mir jetzt wirklich.“
Urszula Usakowska-Wolff: Wie wirkt sich die langfristige Schließung der Galerie KWADRAT auf Deine Planung aus? Musstest Du die Ausstellungen verschieben oder sogar absagen?
Martin Kwade: Die Schau unter dem Titel Alma Winter von Severin Spengler in Kooperation mit Viktoria Strecker konnte am geplanten Termin nicht stattfinden. Sie sollte am 14. März eröffnet werden, doch an dem Tag war ja schon der Lockdown. Weil es die erste Einzelausstellung der beiden Künstler ist, die gerade an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Marcel Odenbach studieren, wollten wir sie nicht absagen, wir haben sie auf den 11. Juli verschoben. Bis dahin bleibt die Galerie geschlossen, aber wir hoffen, dass am Wiedereröffnungstermin die Maßnahmen zu Covid19 soweit gelockert sind, dass sich die ungefähr hundert Leute, welche erfahrungsgemäß zu unseren Vernissagen kommen, im Innenraum und auf dem Hof sicher verteilen können. Die anschließende, von Peter Ungeheuer kuratierte Ausstellung Boxenstopp @ Kwadrat, mussten wir auf voraussichtlich Ende September verschieben. Und für Dezember ist eine Ausstellung mit Andreas Greiner und Armin Keplinger geplant, die als Künstlerduo A/A auftreten. Es musste also tatsächlich viel verschoben werden. Das ist nicht so tragisch, aber am Anfang des Lockdowns war es recht kompliziert, weil die ganze Jahresplanung durcheinander geriet.
UUW: Wie haben die Künstlerinnen und Künstler Deiner Galerie auf diese Situation reagiert?
MK: Das sind alles vernünftige Leute, die wissen, dass sie diese Situation nicht ändern können. Wenn es regnet, dann regnet es ja, wenn es eine Pandemie gibt, ist es halt so. Wir waren uns deshalb komplett einvernehmlich, dass entsprechende Lösungen gefunden werden müssen. Doch es ist klar: Wenn die Planung aus den Fugen gerät, sitzt man am Anfang eine Woche da und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Wir dachten, dass die Krise schneller vorbei sein wird. Immerhin gibt es jetzt kleine Lockerungen, aber größere Veranstaltungen sind noch immer untersagt. Weil wir auf Nummer sicher gehen wollten, machen wir die Galerie KWADRAT erst am 11. Juli richtig auf.
UUW: Was bedeutet die fast viermonatige Schließung Deiner Galerie? Hast Du dadurch finanzielle Einbußen?
MK: Natürlich! Ich sollte jetzt auf der Kunstmesse in Kiew sein, aber sie wurde verschoben und findet wahrscheinlich Ende August oder Anfang September statt. Das ist ein finanzieller Schlag, weil die Teilnahme an einer Kunstmesse viel Umsatz bringt. Es gibt auch viele neue, tolle Arbeiten, die ab Mitte März im KWADRAT gezeigt werden sollten. Einige Sammler aus Köln und Düsseldorf wollten zur Eröffnung der Ausstellung Alma Winter anreisen, aber das war nicht möglich. Die Einbußen belaufen sich auf mehrere tausend Euro. Normalerweise gibt es während der Öffnungszeiten der Galerie auch Arbeiten von anderen Künstlerinnen und Künstlern der Galerie zu sehen, und das für mich wichtige, persönliche Gespräch mit dem Publikum und den Sammlern ist in diesem Fall weggefallen.
UUW: Bis Du Deine Galerie im Juli wieder eröffnen kannst, dauert es noch eine Weile. Was machst Du, um in dieser Zeit über die Runden zu kommen?
MK: Ich habe vor einigen Tagen einen KWADRAT-Online-Shop gestartet. Er läuft langsam an, aber immerhin sind schon einige kleine Arbeiten zum Preis von 25 und 65 Euro verkauft worden. Ich möchte diesen Online-Shop weiter ausbauen, wir beginnen mit Philip Kojo Metz und seiner Edition SORRYFORNOTHING L BOX, danach kommt jede Woche eine Künstlerin oder ein Künstler der Galerie: Elana Katz, Tobias Dostal, A/A, Wolfgang Lugmair usw. an die Reihe. Außerdem möchte ich auch Arbeiten von anderen Künstlerinnen und Künstlern, die noch von keiner Galerie in Berlin vertreten werden, keine Ausstellungen haben und in Geldnöten sind, im Online-Shop zum Verkauf anbieten.
UUW: Was unternimmst Du noch, um den Künstlerinnen und Künstlern Deiner Galerie dabei zu helfen, die Corona-Krise möglichst unbeschadet zu überstehen?
MK: Ich würde diesen Job nicht machen, hätte ich mich nicht für die Kunst und jene, die sie schaffen, verantwortlich gefühlt. Ich bin mit allen 15 Künstlerinnen und Künstlern meiner Galerie eng befreundet, da ist auch in „normalen“ Zeiten ein großes Vertrauensverhältnis vorhanden, es wird alles gemeinsam abgesprochen, wir halten uns immer an alle Abmachungen, sind finanziell sehr transparent – und wir unterstützen uns gegenseitig. Da bin ich, glaube ich, in der glücklichen Situation, denn diese reziproke Loyalität ist einer der wichtigsten Faktoren, der mich antreibt, die Galerie weiterzumachen. Und ich bleibe mit den Sammlern in Kontakt. Was ich relativ schnell einrichten konnte, ist der erwähnte Online-Shop, der ja auch mit Kosten verbunden ist, aber der Verkauf kommt voran; auch kleine Beträge läppern sich zu größeren zusammen. Das kenne ich von der Ausstellung Tunnelblick von Tobias Dostal, die wir als erste Schau (vom 13. September bis zum 2. November 2019) im neuen KWADRAT-Domizil in der Reichenberger Straße 125 gezeigt haben. Wir haben einzelne Gläser seiner Installation verkauft. Ich musste zwar sehr viele Rechnungen schreiben, aber am Ende hat sich das Ganze gelohnt, und es war ein Erfolg. Ich gehe davon aus, dass es mit dem Online-Shop auch so sein wird.
UUW: Was bedeutet die Corona-Zeit für Dich persönlich? Werden sich Dein Leben und Deine Arbeit dadurch ändern? Wird die von Event zu Event hetzende Berliner Kunstszene etwas ruhiger? Steht ihr sogar womöglich eine Entschleunigung bevor?
MK: Ich muss sagen: In einigen Fällen hatte ich zwar etwas mehr Ruhe, aber eigentlich viel mehr Arbeit als sonst. Wenn man mehr Zeit hat, kann man sie intensiver nutzen, um mit den Künstlern genauer zu sprechen, sich mit ihren Lebensläufen und den Texten, die über sie geschrieben werden, eingehender zu beschäftigen. Die Entschleunigung ist nichts für mich. Ich hätte es gern, dass das Tempo noch schneller wird. Für mich als Galeristen ist der dadurch entstehende Druck sehr wichtig: Ich weiß, ich habe eine Ausstellung, mache einen Plan, den ich verwirklichen muss. Das fehlt mir jetzt wirklich. Ich mag diese Events, die das Leben einer Galerie prägen: Vernissagen, Finissagen, wo auch gekocht wird, das ist alles ganz wichtig.
UUW: Ja, Vernissagen und Finissagen sind essentiell für die Arbeit einer Galerie, in die sich ansonsten unter der Woche kaum jemand verirrt …
MK: Diese Events sind so wichtig, weil Kunst ein soziales Feld ist! Die Begegnungen mit den Künstlern und die dabei geführten Gespräche gehören absolut dazu. Die Laien meinen, die machen nur Partys, aber das hat damit nichts zu tun. Die Leute treffen sich, trinken einen Schluck Wein, viele Sachen ergeben sich in dem Moment, das ist es, was die Kunst zum großen Teil ausmacht. Deshalb glaube ich nicht, dass Online-Ausstellungen eine dauerhafte Lösung sind, denn dabei geht die soziale und haptische Komponente der Kunst verloren. Eine ganze Ausstellung im Netz: Nein, das ist kein Ausweg. Die Kunstwerke sind sinnlich, man riecht sie, man sieht das Licht, man kann die Arbeiten von links und rechts beobachten. Wenn der Galerist es erlaubt, kann man die Kunst sogar anfassen und fühlen: Das ist aus Bronze, das ist aus Holz, das ist Keramik. Ich glaube, in den nächsten 50 Jahren wird die Kunst nicht komplett ins Internet abwandern. Wie sollte das denn gehen?
UUW: Viele Künstlerinnen und Künstler werden gegenwärtig in der Realität mit noch größeren Existenzproblemen als sonst konfrontiert. Sehen sie sich deshalb nach Alternativen zur Kunst um?
MK: Ich hoffe, dass der Staat so vernünftig ist und es weiterhin sein wird, die Kunst zu fördern. Die staatliche Hilfe für Künstlerinnen und Künstler war richtig und ein Gebot der Stunde. Wenn jetzt auch die Umsatzbesteuerung von Kunst von 19 auf 7 Prozent heruntergesetzt werden sollte, fände ich das eine gute Sache. Ich persönlich bleibe bei meiner Galerie und mache weiter, meine Künstler auch. Es stimmt, dass viele Künstler, auch in Berlin, Nebenjobs haben. Oft wird darüber nicht gesprochen, weil manche sich dafür schämen, aber das ist eine falsche Scham. Und, was sehr wichtig ist: Der Senat muss endlich merken, dass die wichtigsten deutschen und internationalen Künstler in Berlin leben und arbeiten oder zumindest eine Zweitwohnung hier haben. Diese Stadt hat immer von der pulsierenden Kunstszene profitiert. Ich fände es deshalb gut, wenn der Berliner Senat sich mehr um die zeitgenössische Kunst kümmert. Es sind vor allem die Galerien, die zeitgenössische Kunst nach Berlin bringen. Sie stemmen die Hauptarbeit, um jungen Künstlerinnen und Künstlern zuerst kleine Ausstellungen, dann Gruppen- und anschließend Einzelausstellungen zu ermöglichen. Aber dafür Fördergelder zu kriegen, gleicht einem Trauerspiel. Der Landesverband Berliner Galerien versucht, auf den Senat einzuwirken. Inwieweit dies uns gelingt, hängt in den Sternen. Wir werden jedoch nicht aufhören, kontinuierlich Druck zu machen.
Martin Kwade (* 1976 in Katowice, Polen, lebt in Berlin) studierte Jura an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und arbeitete parallel dazu als Assistent von Corinne Wasmuht und Anselm Reyle in Berlin. Er ist Inhaber der Galerie KWADRAT, die er 2007 zuerst als Projektraum in seiner Privatwohnung in Schöneberg gründete. Nach der Teilnahme an den Kunstmessen in Paris, Brüssel und Berlin etablierte sich KWADRAT seit Ende 2013 mit durchschnittlich acht thematischen Ausstellungen pro Jahr als professionelle Galerie in Kreuzberg und vertritt aktuell 15 aufstrebende internationale Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Malerei, Skulptur, Video, Performance und Multimedia befassen. Seit September 2019 hat die Galerie einen festen Sitz in der über 150 Jahre alten Remise im Hinterhof der Reichenberger Straße 125, die Martin Kwade vor dem Verfall rettete, sanierte und renovierte. Für die erste Ausstellung am neuen Standort, Tunnelblick von Tobias Dostal, wurde KWADRAT für den VBKI-Preis der Berliner Galerien nominiert.
KWADRAT - UG
Reichenbergerstr. 125, 10999 Berlin
+49 179 748 94 71
www.kwadrat-berlin.com
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