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The Night is never Complete

von Daniela Kloock (17.02.2024)
vorher Abb. The Night is never Complete

Deda-Shvili an rame ar aris arasodes bolomde bneli | Mother and Daughter, or the Night Is Never Complete,
Land: GEO, FRA 2023, Regie: Lana Gogoberidze, Sektion: Forum 2024, © 3003 Film Production


„Mother and Daughter, or the Night is Never Complete“ – ein wunderbarer Film der georgischen Filmemacherin Lana Gogoberidze (Forum Spezial)

Das Leben bringt Menschen zusammen oder trennt sie. Manchmal geschieht dies willentlich. Manchmal ist es Schicksal - vor allem in Zeiten von Krieg, Terror und Verfolgung. So geschehen im Leben von Nutsa Gogoberidze und ihrer Tochter Lana.

Nutsa, 1903 in Aserbaisdschan geboren, Mitarbeiterin von Sergei Eisenstein, war die erste Spielfilmregisseurin der Sowjetunion. In den 1930er Jahren brachte sie gleich zwei Filme heraus, die jedoch sofort zensiert bzw. verboten wurden. Die stalinistischen Säuberungen hatten bereits begonnen und brachten Millionen Menschen den Tod oder den Gulag. Ihr Ehemann, ein kommunistischer Aktivist, wurde hingerichtet, Nutsa selbst überlebte nur knapp. Sie wurde nach Sibirien deportiert, wo sie 10 Jahre Zwangsarbeit leisten musste - ohne Hoffnung, je nach Tiflis, wo die Familie lebte, zurückzukehren.

„Mother and Daughter, or the Night is Never Complete“ (so der englische Verleihtitel) ist Erinnerungsarbeit, Vermächtnis und Liebeserklärung der Tochter Lana Gogoberidze an ihre Mutter Nutsa. Lana Gogoberidze - heute 93-jährig - war wiederum 1950 die erste georgische Filmemacherin, eine Regisseurin von Weltrang (u.a. Goldene Palme in Cannes 1984, Goldener Löwe in Venedig 1992). Als Kind war sie bei den Film-Shootings dabei, doch öfter musste sie ohne ihre Mutter auskommen, die dann plötzlich für immer verschwunden schien. Lana war bereits eine junge Erwachsene als ihr eine unbekannte, traumatisierte, gebrochene Frau gegenüberstand.

Erst viel später, nach dem Tod ihrer Mutter, begann sich Lana Gogoberidze mit der Frage zu beschäftigen, ob und was vom Werk Nutsas übrig geblieben sein könnte. Abgesehen von einigen wenigen Fotografien, die noch vorhanden waren. Allen voran ein Bild, das die wunderschöne Frau in einem usbekischen Gewand zeigt. Nutsas Filme jedoch schienen verschollen, ausgelöscht. Erst 2015 gelang es, die Dokumentation „Buba“ und wenig später den Spielfilm „Ujmuri“ in Moskauer Archiven zu finden. Die Filme wurden weltweit auf Festivals gezeigt, international als „masterpieces“ gefeiert und in den Kanon der großen Filme der 1930er Jahre aufgenommen. Die französische Filmkritik verglich ihre Ausdrucksstärke mit dem Frühwerk von Luis Buñuel, beispielsweise mit „Welt ohne Brot“. So kehrte die Frau, deren künstlerisches Werk für immer zerstört schien, wieder ins Leben zurück.

„Mother and Daughter“ ist eine komplexe, schöne Montage. Sie zeigt Ausschnitte aus Nutsas Filmen, Schwarz-Weiß-Szenen im Stil Eisensteins, voller Wucht und Direktheit. Aber auch die Episoden aus Lanas Spielfilmen beeindrucken. Sie kreisen direkt oder indirekt um die Mutter-Tochter-Problematik, um das Thema Trennung, Verlust und Vergessen. Vor allem die Szenen, in denen Lanas Schicksal nachempfunden, nachinszeniert wird, bleiben im Gedächtnis. Das Lagerleben, Flucht, Hunger, Todesangst - das sind die Themen, aber auch Tanz. Letzterer ist ein wiederkehrendes, symbolisches Motiv, das die einzelnen Erzählebenen scheinbar locker verbindet.

Die Spielfilmszenen werden unterbrochen von eher dokumentarisch wirkenden Einstellungen. Die Kamera schweift über Fotografien, Zeichnungen, Karten und Zeitungsausschnitte, die die Geschichte der Familie nachvollziehbar machen. Wie mit Spotlights wird damit ihr Schicksal beleuchtet, ihr Drama komprimiert. So werden wir zu Zeugen zweier Kino-Legenden, in deren Leben sich eines der schrecklichsten Kapitel des 20. Jahrhunderts eingeschrieben hat.

Der Film ist ein feministisches Manifest des Überlebenswillens, der Kreativität und der Menschlichkeit. Er lehrt, dass selbst die dunkelsten Zeiten vergehen, die Kunst aber bleibt. Und die Hoffnung! Sie bestimmt auch die erste Zeile eines Liebesgedichts von Paul Éluard, das dem Film als Untertitel beigefügt ist: „La nuit n´ est jamais complet ...“

www.arsenal-berlin.de
www.berlinale.de

Daniela Kloock

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